Alle Wege führen nach Rom
Schultern hoch
und deutete der Schwester damit an, sie möge sich ja nicht unterfangen, den
hochwürdigsten Pater General ein zweites Mal zu verbessern.
»Ja, ganz richtig, Cholapur«, bestätigte dieser
inzwischen.
»Pater Timotheus ist mein Schützling. Er hat als
erstes meiner Waisenkinder den Weg zum Priestertum gefunden und ist besonders
anhänglich geblieben. Darum will ich ihm eine Freude machen. Ob hochwürdigster
Pater General dafür sorgen werden, daß Toni, pardon Timotheus das Geschenk
bekommt und zweitens auch behalten darf?«
Wenn es nicht zu groß sei, nehme er es gleich mit,
erwiderte der General, er starte in wenigen Stunden zum Flug nach Madras.
Es sei nur ein elektrischer Rasierapparat,
beteuerte Annaberta.
Gut denn, der habe in seiner Reisetasche bequem
Platz, sagte der General und lächelte. Wünsche sie sonst noch etwas?
»Daß ihn der Toni auch behalten darf. Er leidet
unter starkem Bartwuchs. Schon mit 15 Jahren mußte er sich alle vierzehn Tage rasieren.
Mein Gott, war das eine Qual für uns beide!«
Der General lächelte abermals, reichte ihr seinen
Ring zum Kuß und segnete sie. An der Tür erschien wieder der weiße Bruder.
Beschwingt folgte ihm die Schwester. Sie wußte nun, Toni würde in wenigen Tagen
ihr Geschenk in Händen halten. Doch plötzlich beschlich sie eine leise Angst:
wie, wenn seine Dschungelmission noch nicht ans elektrische Stromnetz
angeschlossen ist? Hatte der Dolmetscher vielleicht deshalb so spöttisch
gelächelt?
Inzwischen blickte der Ordensgeneral in Gedanken
verloren der Nonne nach. »Ein simples Volk, diese Klosterfrauen!« meinte der
mißvergnügte Dolmetscher und hoffte, die Gedanken seines Oberen erraten zu
haben. Dieser jedoch schüttelte unwirsch das Haupt, preßte seinem Mitbruder mit
strenger Miene den Zeigefinger auf die Lippen und versperrte sie.
Gegen Ende ihres Schweigemarsches beflügelte
Schwester Annaberta ihre Schritte, einmal vor Freude über die gelungene
Audienz, zum andern aus Besorgnis um das Seelenheil der beiden Zurückgelassenen.
Doch diese Sorge war umsonst gewesen: jeder der beiden stand auf einer anderen
Straßenseite, Birnmoser studierte die Zeitung, Eva die Auslage eines Hutsalons,
dazwischen brauste der Weltstadtverkehr.
»Zerstritten?« fragte Annaberta hoffnungsvoll.
Birnmoser schüttelte traurig den Kopf.
IV Vom lebendigen Brunnen oder
warum sie alle am Abend todmüde in die
Betten sanken
Für treue Söhne und Töchter der Kirche — und
das waren sie ja alle vom Mesner Luitpold bis zum strammen Kohlenpottkaplan — konnte
tags drauf das erste Ziel in Rom nur Sankt Peter heißen (oder San Pietro, wie
die Schulrätin es aussprach). Der römische Himmel zeigte sich von seiner
gnädigsten Seite. Heiter und aufgeräumt kletterten die Pilger in die blauen
Autobusse und vergaßen sogar den ungesüßten Kaffee. Nur der Monsignore und der
Kaplan gerieten sich wieder einmal in die Tonsur. Beide hielten es
unglücklicherweise für sinnvoll, auf diesem letzten Stück der Wallfahrt ein
Lied zu singen. Natürlich schlug jeder ein anderes vor. Erklärte der Kaplan
»Milde Königin, gedenke« für spätromantischen Kitsch, so der Monsignore »Uns
rufet die Stunde« für eine Jugendstilverirrung. Als sich endlich ein Kompromiß
anbahnte und beide zusammen »Ein Haus voll Glorie« anstimmten, kurvten die Busse
bereits in die Via della Conciliazione ein. »Es lohnt sich nicht mehr«, winkte
der Monsignore ab, »ehe wir zum Refrain kommen, sind wir am Petersplatz.«
Die italienischen Chauffeure meinten sicher, für
den Maiausflug einer Judenschule angeheuert zu sein, so wild und begeistert
gebärdeten sich die als kühl verschrienen Teutonen, als die Fassade der
Peterskirche auftauchte, von der Morgensonne hell bestrahlt. Kaum dem Bus
entstiegen, stürmte die fortschrittliche Pfarrjugend beiderlei Geschlechts mit
wehenden Bannern und fliegenden Röcken über den majestätischen Platz, ohne
rechts und links zu blicken, am Obelisken vorbei die Treppe zum Portal empor,
diese weite, feierliche Treppe, die doch nur für langsames, andächtiges
Schreiten geschaffen ist, für Schwester Annabertens Schreiten zum Beispiel.
Pochte ihr Herz auch rascher und rascher, sie bezwang ihre Sehnsucht. Sankt
Peter lief ihr nicht mehr davon. Und so wollte sie die Hochstimmung, die sie so
nahe dem Ziele ihrer irdischen Wünsche beseelte, auskosten, solange es möglich
war. Wer weiß, was nachher kommt!
Was nachher kam, war Enttäuschung. Wenn
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