Alle Wege führen nach Rom
einer froh
gestorben ist und nun in Erwartung aller himmlischen Herrlichkeiten an die Tore
des Paradieses klopft und darin statt jubilierender Engelchöre gähnende
Pfadfinder, baedekerstudierende Engländerinnen und schwätzende Kleriker
vorfindet, der ist kaum mehr enttäuscht, als unsere liebe Schwester es jetzt war.
Am Portal hatte sie noch einmal tief Luft geholt, um die erwartete
Himmelsschönheit tapfer zu ertragen — und nun fand sie sich statt in einem
Gotteshaus in einer Prunkhalle von schwindligen Ausmaßen, sah sich statt von
einer Beterschar von einer Art gedämpftem Bahnhofsbetrieb umschlossen: kein
Mensch faltete die Hände; entweder streckte man neugierig die Finger in die
Luft oder beklopfte den Marmor oder blätterte im Reiseführer. Selbst der
Monsignore — (wie andächtig hatte er noch am Morgen das heilige Opfer
gefeiert!) — machte keine Kniebeuge (brannte hier überhaupt ein Ewiges Licht?)
und fing sofort mit seinem Vortrag über die Größe der Kirche, ihre Bauherren,
Künstler usw. an. Danach begann die Pilgerschar mit vielen Ahs und Ohs den
Rundmarsch durch die Seitenschiffe und besichtigte die Papstgräber, die höher
waren als die Mariensäule in München.
Nur zehn Minuten blieb Annaberta ihrer
Reisegesellschaft treu. Dann steuerte sie selbständig auf die Confessio zu.
Aber auch dort schwätzten Touristen, diesmal auf französisch. Verzweifelt
blickte sie um sich: war hier nirgends ein Fleckchen zum Beten?
Da entdeckte sie über sich die mächtige Kuppel.
Ja, wenn sie jetzt dort oben wäre! Dann kröchen die Menschen wie Ameisen auf
dem Boden herum und ihr blasiertes Geschwätz hörte sich vielleicht an wie das
Rauschen der Seraphim. Dort oben ließe sich beten! Noch waren ihr aber keine
Flügel gewachsen, noch war sie ein Erdenkloß, frei nach Adams Vorbild geknetet.
So sprach sie also ein zerstreutes Vaterunser am Grabe Petri und trabte dann,
untröstlich im Herzen, dem Ausgang zu. Eine geschlagene Stunde lang wollte der
Monsignore die Peterskirche erklären. Da hatte sie genügend Zeit, sich draußen
ein wenig niederzusetzen. Ihr blieb nur die Hoffnung, sich bei einem zweiten Besuch
in der riesigen Kirche ein wenig heimischer zu fühlen.
Als sie aus der Vorhalle trat, strich sie sich
verwundert über die Stirn. Mein Gott, war dieser Platz schön! In der weiten
Mulde ruhte die Sonne, von Berninis Kolonnaden wie von unbewegten Wächtern
umstanden. In tausend Akkorden läutete die tiefblaue Glocke des römischen
Himmels darüber. Und wie still es war, alles Plaudern, alles Fragen und
Erklären trug der leise Wind davon. Langsam schritt Annaberta die Stufen
hinunter und lehnte sich unweit des linken Brunnens an eine Säule. Der warme
Stein tat ihrem Rücken wohl. Sie setzte sich nieder und betrachtete das
friedliche Bild. Da lag ein alter Mann, hatte den verbeulten Hut über den Kopf
gestülpt und hielt den zweiten Morgenschlaf. Eine junge Frau schaukelte ihr
Töchterlein auf dem Schoß und summte ein Lied. Drei Buben, braungebrannte
Wuschelköpfe wie die nickenden Heidenkinder am Opferstock daheim, trieben mit
Eifer ein Würfelspiel. Zwei Kleriker, mit Schlitzaugen und feuerroten Schärpen,
vertieften sich ins Brevier. Über all das glitt ihr Blick gelassen hin, bis der
Brunnen ihn fesselte. Dieser herrliche Brunnen! Fluten glitzernden Silbers jagte
er gegen den Himmel, unermüdlich, unaufhörlich, reinstes Weiß und sanftes Blau
trieben ein höchst lebendiges Spiel miteinander, ehe das Wasser, selig
versprühend, in die weiten Schalen niederstürzte, um sich zu neuem Aufbruch zu
rüsten. Was der toten Pracht von Sankt Peter nicht gelungen war, diesem Brunnen
gelang es: er wurde der kleinen Waisenschwester aus dem Bayrischen Wald zum
Sinnbild der Kirche. Stieg nicht auch in ihr der Quell der Gnade unermüdlich,
unaufhörlich empor, um schließlich, weißdurchglüht vom Licht, zurückzufluten in
die weißen Schalen? Und mögen mißgünstige Winde sie zur Seite beugen, mögen
Millionen leuchtender Tropfen auf unfruchtbares Steinpflaster stürzen — der
Brunnen geizt mit seiner Gabe nicht, er sprüht und schäumt nur um so stolzer in
die Höhe.
>Wenn jetzt meine Waisenkinder um mich
wären,< murmelte die Schwester, fast ein bißchen benommen im Kopf vor soviel
Glanz und so feierlichen Gedanken. Und dann betete sie für die Waisenkinder,
die jetzt wohl die Kirschbäume plündern werden, für die Reisegesellschaft, die
eben vor Canovas formenkühlen Klageengeln stand, für den
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