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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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können wie gen Himmel fahren, war das wahrscheinlich das Klügste, was er tun konnte.
    Die Viertelstunde war so lang, daß er mehr als einmal überzeugt war, er müsse unfreiwillig eingenickt sein und die Glocke überhört haben. Endlich drang sie an sein lauschendes Ohr.
    „Bim, bam!“
    „Viertel“, sagte Scrooge und zählte mit.
    „Bim, bam!“
    „Halb!“ sagte Scrooge.
    „Bim, bam!“
    „Drei Viertel“, sagte Scrooge.
    „Bim, bam!“
    „Voll“, sagte Scrooge triumphierend, „und nichts passiert!“
    Das sagte er, bevor die Glocke die volle Stunde geschlagen hatte, was sie jetzt mit einem tiefen, dumpfen, hohlen, melancholischen Ton tat. In diesem Augenblick flammte Licht im Zimmer auf, und die Vorhänge an seinem Bett wurden beiseite gezogen.
    Die Vorhänge wurden – man stelle sich vor – von einer Hand beiseite gezogen. Nicht die Vorhänge am Fußende und nicht die hinter seinem Rücken, sondern die, denen sein Gesicht zugewandt war. Die Vorhänge an seinem Bett wurden beiseite gezogen, und Scrooge, der sich halb zum Sitzen aufrichtete, sah sich dem unirdischen Besucher gegenüber, der sie zurückzog. Er war ihm so nahe, wie ich Ihnen jetzt bin, und im Geiste stehe ich neben Ihrem Ellenbogen.
    Es war eine seltsame Gestalt – wie ein Kind, doch wiederum weniger einem Kind als einem durch ein übernatürliches Medium gesehenen alten Mann ähnlich, wodurch dieser wie dem Blick entzogen und auf die Größe eines Kindes zusammengeschrumpft wirkte. Sein Haar, das über Hals und Rücken herabhing, war weiß wie bei einem Greis, doch das Gesicht zeigte nicht eine Falte, und auf der Haut lag ein jugendlich frischer Hauch. Die Arme waren ziemlich lang und muskulös, ebenso die Hände, als ob ihr Griff von ungewöhnlicher Kraft wäre. Die feingeformten Beine und Füße waren wie die oberen Gliedmaßen nackt. Er trug eine Tunika von reinstem Weiß und um die Taille einen leuchtenden Gürtel, von dem ein wunderbarer Glanz ausging. Er hielt einen frischen, grünen Stechpalmenzweig in der Hand, und in seltsamem Gegensatz zu diesem winterlichen Symbol war sein Gewand mit Sommerblumen besetzt. Doch das Sonderbarste an ihm war, daß von der Krone auf seinem Kopf ein klarer, greller Lichtstrahl ausging, durch den dies alles sichtbar wurde und der zweifellos der Grund dafür war, daß er, wenn er dunklere Augenblicke vorzog, auf seinen Kopfschmuck ein Lichthütchen setzte, das er jetzt unter dem Arm trug.
    Doch selbst dies war nicht seine seltsamste Eigenschaft, als Scrooge ihn mit wachsender Standhaftigkeit betrachtete. Denn wie der Gürtel bald an dem einen Teil, bald an einem anderen funkelte und glitzerte – und was eben noch leuchtete, war im nächsten Moment dunkel –, so veränderte sich die Deutlichkeit der Gestalt. Jetzt war sie ein Ding mit einem Arm, nun mit einem Bein, dann mit zwanzig Beinen, jetzt ein Paar Beine ohne Kopf, nun ein Kopf ohne Körper; von seinen sich auflösenden Teilen waren in der undurchdringlichen Finsternis, in die sie dahinschmolzen, nicht einmal die Umrisse sichtbar. Und während er darüber staunte, war sie schon wieder sie selbst, klar und deutlich wie zuvor.
    „Sind Sie der Geist, Sir, dessen Kommen mir vorhergesagt wurde?“ fragte Scrooge.
    „Der bin ich.“
    Die Stimme war sanft und freundlich und ungewöhnlich leise, als ob sie nicht neben ihm, sondern von ihm entfernt wäre.
    „Wer und was sind Sie?“ forschte Scrooge.
    „Ich bin der Geist vergangener Weihnachten.“
    „Aller vergangenen?“ fragte Scrooge weiter und beobachtete seine zwergenhafte Gestalt.
    „Nein, deiner vergangenen.“
    Vielleicht hätte Scrooge niemandem sagen können, warum – falls ihn jemand hätte fragen können –, aber er hatte den besonderen Wunsch, den Geist mit der Mütze zu sehen, und bat ihn, sie sich aufzusetzen.
    „Was!“ rief der Geist aus. „Möchtest du das Licht, das ich spende, so rasch mit deinen irdischen Händen auslöschen? Ist es nicht genug, daß du zu denen gehörst, deren Leidenschaften diese Mütze schufen und mich viele, viele Jahre zwangen, sie tief ins Gesicht gezogen zu tragen!“
    Scrooge wies ehrfurchtsvoll jegliche Absicht von sich, daß er ihn beleidigen wolle oder daß er sich bewußt sei, zu irgendeiner Zeit seines Lebens dem Geist absichtlich die Mütze aufgesetzt zu haben. Dann nahm er allen Mut zusammen und fragte den Geist, welches Geschäft ihn hierhergeführt habe.
    „Dein Wohlergehen!“ sagte der Geist.
    Scrooge brachte seine Dankbarkeit zum

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