Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
wurden seine Haare, seine Rockschöße und seine Stiefelquasten wie von einem Dunst, der aus einem Ofen steigt, hin und her bewegt.
    „Siehst du diesen Zahnstocher?“ sagte Scrooge, indem er aus dem eben erwähnten Grunde schnell zum Angriff überging, in dem Wunsch – und wenn es auch nur für eine Sekunde wäre –, den starren Blick des Geistes von sich abzulenken.
    „Ja“, erwiderte der Geist.
    „Du blickst gar nicht zu ihm her“, sagte Scrooge.
    „Ich sehe ihn aber trotzdem“, sagte der Geist.
    „Nun“, erwiderte Scrooge, „ich brauche ihn bloß hinunterzuschlucken, um für den Rest meiner Tage von einer Schar Kobolde verfolgt zu werden, die ich mir selbst geschaffen habe. Unsinn, sage ich dir, alles Unsinn!“
    Dabei erhob der Geist ein schreckeneinflößendes Geschrei und schüttelte seine Kette mit solch einem gräßlichen und schrecklichen Getöse, daß sich Scrooge an seinem Stuhl festklammerte, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Doch wieviel größer war erst sein Entsetzen, als das Gespenst die um den Kopf gewickelte Binde abnahm, als ob es zu warm wäre, sie im Zimmer zu tragen, und ihm der Unterkiefer auf die Brust herunterklappte.
    Scrooge fiel auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht.
    „Gnade“, sagte er. „Furchtbare Erscheinung, warum quälst du mich?“
    „Mann weltlicher Gedanken!“ entgegnete der Geist. „Glaubst du mir oder nicht?“
    „Ja“, sagte Scrooge. „Ich muß es ja. Aber warum erscheinen Geister auf der Erde, und warum kommen sie zu mir?“
    „Von jedem Menschen wird verlangt“, erwiderte der Geist, „daß seine Seele unter seinen Mitmenschen wandelt und weit herumreist. Und wenn sie nicht im Leben umhergeht, ist sie dazu verdammt, es nach dem Tode zu tun.
    Sie ist dazu verurteilt, durch die Welt zu ziehen – oh, weh mir! – und Zeuge dessen zu sein, an dem sie nicht mehr teilhaben kann, aber auf Erden hätte teilhaben und es in Glück verwandeln können.“
    Wieder erhob das Gespenst ein Geschrei, schüttelte seine Kette und rang die schattenhaften Hände.
    „Du bist gefesselt“, sagte Scrooge zitternd. „Sage mir, warum.“
    „Ich trage die Kette, die ich im Leben geschmiedet habe“, antwortete der Geist. „Ich stellte sie Glied um Glied und Elle um Elle her. Ich legte sie freiwillig an, und aus freiem Willen trug ich sie. Ist ihr Muster dir so fremd?“
    Scrooge zitterte immer mehr.
    „Oder willst du“, fuhr der Geist fort, „das Gewicht und die Länge der starken Rolle wissen, die du selber trägst? Sie war ebenso schwer und lang, wie dieses Weihnachten vor sieben Jahren war. Du hast seitdem weiter daran gearbeitet. Es ist eine schwere Kette!“
    Scrooge blickte auf dem Boden umher, in der Erwartung, sich von einer hundertzwanzig oder hundertdreißig Meter langen Eisenkette umgeben zu finden; aber er konnte nichts sehen.
    „Jacob“, flehte er. „Guter alter Jacob Marley, erzähl mir mehr. Sprich mir Trost zu, Jacob!“
    „Ich habe keinen zu spenden“, antwortete der Geist. „Er kommt aus anderen Bezirken, Ebenezer Scrooge, und wird durch andere Boten gesandt und zu anderen Menschen als dir. Auch kann ich dir nicht sagen, was ich möchte. Nur weniges ist mir erlaubt. Ich darf nicht ruhen, ich darf nicht stehenbleiben, ich darf nirgends verweilen. Mein Geist ist niemals über unser Büro hinausgekommen – wohlgemerkt! –, nie im Leben ist mein Geist über die engen Grenzen unserer Wechslerhöhle hinausgezogen, und beschwerliche Wanderungen liegen vor mir!“
    Scrooge hatte die Angewohnheit, die Hände in die Hosentaschen zu stecken, sobald er nachdenklich wurde. Während er darüber grübelte, was der Geist gesagt hatte, tat er es auch jetzt, aber ohne die Augen zu heben oder aufzustehen.
    „Du scheinst dir dabei viel Zeit gelassen zu haben, Jacob“, bemerkte Scrooge in geschäftsmäßigem Ton, wenn auch demütig und ehrerbietig.
    „Zeit gelassen!“ wiederholte der Geist.
    „Seit sieben Jahren tot“, wunderte sich Scrooge, „und die ganze Zeit unterwegs.“
    „Die ganze Zeit“, sagte der Geist. „Keine Ruhe, kein Frieden. Unablässig die Qual der Gewissensbisse.“
    „Wanderst du schnell?“
    „Auf den Flügeln des Windes“, antwortete der Geist.
    „Du mußt eine weite Strecke in sieben Jahren zurückgelegt haben“, sagte Scrooge.
    Als der Geist das hörte, stieß er noch einen Schrei aus und rasselte mit seiner Kette so gräßlich in der Totenstille der Nacht, daß die Wache berechtigt gewesen wäre, ihn wegen

Weitere Kostenlose Bücher