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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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und streckte die Hände über sich aus, als ob es einen Freund gebe, der in seine Reichweite käme, auf dem seine traurige Berührung ruhen, doch keinen Schaden anrichten könnte. Ein leises Zittern überfiel ihn, und schließlich füllten sich seine Augen mit Tränen, und er hielt die Hände davor und senkte den Kopf.
    Seine Erinnerung an Leid, Unrecht und Sorgen war nicht zurückgekehrt. Er wußte, daß er noch nicht geheilt war; er hatte keinen vorübergehenden Glauben oder Hoffnung. Aber eine stumme innere Regung versetzte ihn in die Lage, von etwas angerührt zu werden, was entfernt in der Musik verborgen war. Wenn es ihm nur klagend den Wert von dem nannte, was er verloren hatte, pries er den Himmel mit inbrünstiger Dankbarkeit dafür.
    Als der letzte Ton in seinen Ohren erstarb, hob er den Kopf und lauschte dem sich hinziehenden Schwingen. Über dem Jungen, so daß seine schlafende Gestalt zu seinen Füßen lag, stand unbeweglich und schweigend der Geist und richtete den Blick auf ihn.
    Er war gräßlich wie immer, hatte jedoch keinen so grausamen und unbarmherzigen Ausdruck – zumindest glaubte oder hoffte er das, als er ihn zitternd ansah. Der Geist war nicht allein, sondern hielt in seiner wesenlosen Hand noch eine andere Hand.
    Und wessen Hand war das? War die Gestalt daneben Milly oder nur ihr Schatten und Bild? Der ruhige Kopf war ein wenig geneigt, wie es in ihrer Art lag, und ihre Augen schauten mitleidsvoll auf das schlafende Kind. Strahlendes Licht fiel auf ihr Gesicht, berührte aber nicht den Geist, denn obwohl er dicht neben ihr stand, war er dunkel und farblos wie eh und je.
    „Geist!“ sagte der Chemiker, von neuem beunruhigt, als er hinsah, „ich bin weder hartnäckig noch anmaßend in ihrem Fall gewesen. Oh, bringe sie nicht hierher. Erspare mir das!“
    „Das ist nur ein Schatten“, sagte der Geist. „Wenn der Morgen erwacht, finde die Wahrheit heraus, wessen Bild ich dir zeige.“
    „Ist es mein unerbittliches Schicksal, dies zu tun?“ rief der Chemiker.
    „Ja“, antwortete der Geist.
    „Ihren Frieden zu rauben, ihre Güte; sie zu dem zu machen, was ich selbst bin und zu dem ich andere gemacht habe!“
    „Ich habe gesagt: Finde sie heraus“, erwiderte der Geist. „Mehr habe ich nicht gesagt.“
    „Oh, sag mir“, rief Redlaw aus und klammerte sich an die Hoffnung, die möglicherweise in diesen Worten lag, „kann ich ungeschehen machen, was ich getan habe?“
    „Nein“, entgegnete der Geist.
    „Ich bitte nicht um meine Wiederherstellung“, sagte Redlaw. „Was ich aufgab, gab ich aus freiem Willen auf, und das habe ich zu Recht verloren. Aber für die, auf die ich die unheilvolle Gabe übertrug, die sie nicht gewollt hatten und denen ahnungslos ein Fluch auferlegt wurde, vor dem sie nicht gewarnt wurden und dem auszuweichen sie nicht die Macht hatten, kann ich nichts tun?“
    „Nichts“, sagte der Geist.
    „Wenn ich es nicht kann, kann es irgend jemand?“
    Der Geist, der wie eine Statue dastand, hielt eine Weile lang den Blick starr auf ihn gerichtet. Dann wandte er plötzlich den Kopf und betrachtete den Schatten an seiner Seite.
    „Ach, kann sie es?“ rief Redlaw, noch den Schatten ansehend.
    Der Geist ließ die Hand los, die er bisher gehalten hatte, und hob die eigne mit einer entlassenden Gebärde. Daraufhin begann sein Schatten, der noch dieselbe Haltung beibehielt, sich zu bewegen und dahinzuschwinden.
    „Bleib“, rief Redlaw mit einem Eifer, dem er gar nicht genug Ausdruck verleihen konnte. „Einen Augenblick! Als ein Ausdruck der Gnade! Ich weiß, daß mich eine Verwandlung überkommen hat, als diese Töne eben in der Luft schwebten. Sag mir, habe ich die Macht eingebüßt, ihr Schaden zuzufügen? Kann ich mich ihr ohne Furcht nähern? Oh, laß sie mir ein Zeichen der Hoffnung geben!“
    Der Geist betrachtete wie er den Schatten – nicht ihn – und antwortete nicht.
    „Sag wenigstens dies: Ist ihr von nun an bewußt, daß sie die Macht hat wiedergutzumachen, was ich getan habe?“
    „Nein“, antwortete der Geist.
    „Ist ihr die Macht verliehen, ohne daß sie es weiß?“
    Der Geist antwortete: „Finde sie heraus.“ Und ihr Schatten verschwand langsam.
    Sie standen sich wieder gegenüber und sahen einander so unverwandt und furchtbar an wie zu der Zeit, als ihm die Gabe verliehen wurde; über den Jungen hinweg, der noch zwischen ihnen auf dem Fußboden zu Füßen des Geistes lag.
    „Schrecklicher Lehrer“, sagte der Chemiker und sank in

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