Alle Weihnachtserzählungen
Leben.
„Ich wünschte, ich wär selber in der Armee, falls das Kind recht hat“, sagte Mrs. Tetterby und sah ihren Mann an, „denn hier finde ich keinen Frieden. Ich bin eine Sklavin – eine Virginia-Sklavin.“ Vielleicht gab Mrs. Tetterby irgendeine Assoziation mit ihrem Abstieg in den Tabakhandel diese ärgerliche Äußerung ein. „Niemals habe ich einen Feiertag oder überhaupt ein Vergnügen, und das vom Anfang bis zum Ende des Jahres! Ach, Herr, schütze und segne das Kind“, sagte Mrs. Tetterby und schüttelte das Baby mit einer Gereiztheit, die kaum zu so einem frommen Wunsch paßte, „was ist denn nun mit ihm los?“
Da sie nicht in der Lage war, es herauszubekommen, und die Ursache nicht deutlicher machte, indem sie es schüttelte, legte Mrs. Tetterby das Baby in eine Wiege, saß mit verschränkten Armen da und schaukelte es wütend mit ihrem Fuß.
„Wie du herumstehst, Dolphus“, sagte Mrs. Tetterby zu ihrem Mann. „Warum tust du nichts?“
„Weil ich keine Lust habe, etwas zu tun“, antwortete Mr. Tetterby.
„Ich bin sicher, ich auch nicht“, sagte Mrs. Tetterby.
„Ich schwöre, ich auch nicht“, sagte Mr. Tetterby.
Da entstand ein Ablenkungsangriff zwischen Johnny und seinen fünf Brüdern, die, als sie den Frühstückstisch deckten, ein Scharmützel um den zeitweiligen Besitz des Brotlaibs begonnen hatten und sich ausgiebig knufften, wobei der kleinste von allen eine frühreife Umsicht zeigte, indem er um das Knäuel der Kämpfenden herumtrieb und ihnen in die Beine ging. Mr. und Mrs. Tetterby stürzten sich beide mit großer Leidenschaft in diese Schlägerei, als ob diese das einzige Gebiet sei, auf dem sie übereinstimmten, und nahmen ihre frühere relative Lage ein, nachdem sie ohne merkliche Überbleibsel ihrer sonstigen Weichherzigkeit rücksichtslos um sich geschlagen und Eroberungen gemacht hatten.
„Du tätest besser daran, deine Zeitung zu lesen, als gar nichts zu tun“, sagte Mrs. Tetterby.
„Was is schon in einer Zeitung zu lesen?“ entgegnete Mr. Tetterby mit übertriebener Unzufriedenheit.
„Was?“ sagte Mrs. Tetterby. „Polizeiberichte.“
„Is nichts für mich“, sagte Tetterby. „Was kümmert mich, was Leute tun oder was mit ihnen geschieht?“
„Selbstmorde“, schlug Mrs. Tetterby vor.
„Is nich meine Sache“, antwortete ihr Mann.
„Geburten, Todesfälle und Hochzeiten, sind die nichts für dich?“ fragte Mrs. Tetterby.
„Wenn die Geburten heute für immer vorbei wären und wenn sich die Todesfälle morgen ereignen sollten, sehe ich nich ein, warum sie mich interessieren sollten, bis ich denke, daß ich an der Reihe bin“, brummte Tetterby. „Was die Hochzeiten betrifft, hab ich meine hinter mir. Darüber weiß ich genug Bescheid.“
Dem verdrießlichen Gesichtsausdruck und ihrem Verhalten nach zu urteilen, schien Mrs. Tetterby dieselben Ansichten zu haben wie ihr Mann. Trotzdem widersprach sie ihm, nur um mit ihm zu streiten.
„Oh, du bist ein konsequenter Mann, wie?“ sagte Mrs. Tetterby. „Du mit deinem selbstgemachten Wandschirm, der aus weiter nichts besteht als Zeitungsfetzen, vor dem du sitzt und den Kindern vorliest, wenn ihr ’ne halbe Stunde zusammen seid!“
„Sag, pflegte zu sitzen, wenn ich bitten darf“, entgegnete ihr Mann. „Du wirst nich mehr erleben, daß ich das tue. Ich bin jetz schlauer.“
„Bah, schlauer, wahrhaftig!“ sagte Mrs. Tetterby. „Fühlst du dich besser?“
Die Frage ließ einen Mißton in seiner Brust anklingen. Er sann niedergeschlagen nach und strich sich immer wieder über die Stirn.
„Besser!“ murmelte Mr. Tetterby. „Ich weiß nich, ob sich einer von uns besser oder glücklicher fühlt. Besser?“
Er wandte sich dem Wandschirm zu und fuhr mit dem Finger darüber, bis er einen bestimmten Absatz fand, nach dem er suchte.
„Dieser war bei der Familie immer besonders beliebt, erinnere ich mich“, sagte Tetterby hilflos und einfältig, „und rührte die Kinder zu Tränen und machte sie lieb, wenn es zwischen ihnen einen kleinen Streit oder Unzufriedenheit gab. Er kommt gleich nach der Geschichte vom Rotkehlchen im Wald. ‚Trauriger Fall bitterster Not. Gestern erschien ein kleiner Mann, mit einem Baby auf dem Arm und von einem halben Dutzend zerlumpter Kleiner in verschiedenen Altersstufen zwischen zehn und zwei umgeben, offenbar alle ausgehungert, vor dem Beamten und gab folgenden Bericht:‘ – Ha! Versteh ich wirklich nich“, sagte Tetterby. „Ich seh nich, was das mit
Weitere Kostenlose Bücher