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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Ich habe meine Zweifel‘, sagt ihr, ‚an Will Fern. Beobachtet diesen Burschen!‘ Ich sage nich, meine Herren, ’s is nich ganz natürlich, aber ich sage, ’s is so, und von dieser Stunde an geht alles, was Will Fern auch tut oder läßt, gegen ihn.“
    Stadtrat Cute steckte die Daumen in seine Westentaschen, lehnte sich in seinem Sessel zurück und blinzelte lächelnd in einen neben ihm stehenden Leuchter, als wollte er sagen: „Natürlich! Habe ich das nicht gesagt. Das übliche Geschrei! Gott schütze euch, wir sind solchen Sachen gewachsen, ich und die menschliche Natur.“
    „Nun, meine Herren“, sagte Will Fern, wobei er seine Hände ausstreckte und sein hageres Gesicht für einen Augenblick errötete, „sehen Sie, wie Ihre Gesetze dazu gemacht sind, uns Fallen zu stellen und zu jagen, wenn wir erst so weit gebracht worden sind. Ich hab versucht, sonstwo zu leben. Ich bin ein Landstreicher. Ins Gefängnis mit ihm! Ich komme hierher zurück. Ich gehe in Ihren Wäldern in die Nüsse und breche – wer tut das nicht? – ein oder zwei biegsame Zweige ab. Ins Gefängnis mit ihm! Einer Ihrer Wächter sieht mich am hellichten Tag mit einer Waffe in meinem Stückchen Garten. Ins Gefängnis mit ihm! Ich hab natürlich mit diesem Mann ’n mächtigen Streit, als ich wieder rauskomme. Ins Gefängnis mit ihm! Ich schneide ’ne Gerte ab. Ins Gefängnis mit ihm! Ich esse ’nen faulen Apfel oder ’ne Rübe. Ins Gefängnis mit ihm! ’s is zwanzig Meilen entfernt, und wie ich zurückkomme, bitte ich auf der Landstraße um ’ne Kleinigkeit. Ins Gefängnis mit ihm! Schließlich findet mich der Polizist, der Wächter oder sonstwer dabei, daß ich sonstwo sonstwas anstelle. Ins Gefängnis mit ihm, denn er is ’n Vagabund und ’n bekannter Knastbruder, und das Gefängnis is sein einziges Zuhause.“
    Der Stadtrat nickte scharfsinnig, als wollte er sagen: „Ein sehr gutes Zuhause!“
    „Sage ich das, um mir selbst zu nützen?“ rief Fern. „Wer kann mir meine Freiheit wiedergeben, wer kann mir meinen guten Ruf wiedergeben, wer kann mir meine unschuldige Nichte wiedergeben? Keine der adligen Herren und Damen in ganz England. Aber die Herren, die sich mit Leuten wie mir beschäftigen, fangen am richtigen Ende an. Geben Sie uns um Gottes willen beßre Wohnungen, wenn wir in der Wiege liegen; geben Sie uns beßre Nahrung, wenn wir für unseren Lebensunterhalt arbeiten; geben Sie uns mildere Gesetze, die uns zurückführen, wenn wir ein Unrecht tun, und halten Sie nich das Gefängnis und immer wieder das Gefängnis für uns bereit, wohin wir uns auch wenden. Es gibt keine Leutseligkeit ’nem Arbeiter gegenüber, die er nich bereitwillig und dankbar wie nur irgendeiner annehmen wird, denn er hat ’n geduldiges, friedliches und williges Herz. Aber zuerst müssen Sie den rechten Geist in ihn pflanzen, denn ob er zu Untergang und Verderben bestimmt is – so wie ich – oder wird wie einer von denen, die jetzt hier stehen, sein Geist wird in dieser Zeit von Ihnen getrennt. Bringt ihn zurück, ihr feinen Herren, bringt ihn zurück! Bringt ihn zurück, ehe der Tag kommt, an dem sich sogar die Bibel in seiner verwandelten Seele ändert und er die Worte zu lesen scheint – wie er sie im Gefängnis mit seinen Augen las: ‚Wo du hingehst, da kann ich nicht hingehen; wo du wohnst, da wohne ich nicht; dein Volk ist nicht mein Volk, dein Gott ist nicht mein Gott!‘“
    Eine plötzliche Bewegung und Unruhe kam im Saal auf. Trotty glaubte zunächst, daß sich einige erhoben hätten, um den Mann hinauszuwerfen, und daß daher die Veränderung eingetreten wäre. Doch der nächste Augenblick bewies ihm, daß der Raum und die Gesellschaft seinen Blicken entschwunden waren und daß vor ihm wieder seine Tochter über ihrer Arbeit saß. Aber in einer noch bescheideneren und dürftigeren Kammer als vorher und diesmal ohne Lilian neben sich.
    Der Webstuhl, an dem sie gearbeitet hatte, wurde auf ein Regal gesetzt und zugedeckt. Der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, wurde gegen die Wand gestellt. In diesen kleinen Verrichtungen und Megs kummervollem Gesicht stand eine Geschichte geschrieben. Oh, wer könnte nicht darin lesen!
    Meg strengte ihre Augen über der Arbeit an, bis es zu dunkel wurde, die Fäden zu sehen. Und als der Abend hereinbrach, zündete sie die schwache Kerze an und arbeitete weiter. Noch war ihr alter Vater unsichtbar für sie. Er schaute auf sie hinab, hatte sie lieb – und wie er sie liebte! – und sprach zu ihr

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