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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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dabei aussieht wie Jack the Ripper. Dass sie sich den gemerkt
     hat, diesen Prostituiertenmörder. Wenn ihr nur mal jemand sagen könnte, welchem Prinzip die Dinge folgen, die im Kopf bleiben
     und die verschwinden. Da wäre schon viel gewonnen.
    Sie hangelt sich die Treppen hoch. Kein Fahrstuhl, solange sie bei Verstand ist. Treppen laufen tut gut, auch wenn es nur
     ganz langsam vorangeht. Sie hat sich die Zimmernummer von dem Alzheimer gemerkt. Wird jetzt gleich bei ihm klopfen und noch
     ein wenig plaudern vor dem Abendessen. Sieht gut aus, der Mann. Außer wenn er sabbert. Aber sabbern tut sie auch hin und wieder,
     und wenn sie die Zähne aus dem Mund nimmt, sieht sie aus wie diese Baba Jaga aus dem russischen Märchen. Allzu wählerisch
     sollte man nicht mehr sein.
    Zimmer 22, da ist es. Sie klopft und legt das rechte Ohr an die Tür. Interpretiert das Gemurmel von drinnen als Herein. Da
     sitzt er, der gutaussehende Alzheimer, in seinem großen Sessel am Fenster, und lächelt. Wollen wir einen Likör trinken, fragt
     er, und sie nickt. Was er da aus dem Schrank holt, sieht allerdings eher nach harten Sachen aus. Wodka. Auch gut. Sie nimmt
     das Zahnputzglas, das er ihr reicht, mit königlicher Geste und kippt die wahrscheinlich hundert Gramm in einem Zug runter.
     Na also, das kann sie noch. Das hat sie mal gelernt. Beim Russen. Und irgendwie muss das auch ein Grund dafür sein, dass sie
     heute so allein ist. Und den Verstand verliert. Der Russe ist schuld.
    Und der Alzheimer legt seine Hand auf ihr Knie. Das ist mutig, schließlich sehen weder ihre Knie noch irgendwelche anderen
     Körperteile an ihr besonders schön aus. Und ein paar fehlen vollständig. Schon seit Ewigkeiten, wenn sie das richtig in Erinnerung
     hat. Gut, sie hat ein paar Falten rausgegessen in den letzten Jahren. Das sieht vielleicht ganz proper aus. Aber ob es wirklich
     reicht für? Sie erinnert sich vage an Zeiten, wo ihr schon bei dem Gedanken an. Schlecht wurde. Hat sich verloren mit den
     Jahren. Wenn es dem Alzheimer Spaß macht, soll er ihr ans Knie fassen. Fühlt sich wahrscheinlich zwanzig Jahre jünger dabei.
     Und ihr macht es nichts aus. Sie kann einfach ein bisschen blöde grinsen und so tun, als kriegte sie das gar nicht mit. Alles
     besser als allein im Zimmer hocken und darauf warten, dass die Welt verschwindet.
    Der Alzheimer schiebt seine Hand ein wenig höher und lächelt dabei wie ein kleiner Junge. Dann fängt er an zu reden und tippt
     dazu mit den Fingern den passenden Rhythmus auf ihren Oberschenkel. Das ist schön. Wie eine kleine Massage.
    Du heißt Klara, nicht wahr? Ich habe dich schon ofthier gesehen. Im Speisesaal. Und heute Nachmittag haben wir doch miteinander getanzt, wenn ich mich recht erinnere. Wir beide
     sollten uns zusammentun, Klara. Wir sind zwar ziemlich gaga, aber ich habe festgestellt, zu unterschiedlichen Zeiten. Das
     ist doch nicht schlecht, oder? Ich könnte auf dich aufpassen und du auf mich. Dass wir nicht in die Hosen und Schlüpfer pinkeln
     oder uns vor anderen nackig machen, nicht mit Essen schmeißen und keine obszönen Worte sagen. Ich finde es fürchterlich, so
     die Contenance zu verlieren. Obwohl man sich ja zum Glück kaum daran erinnern kann. Hinterher. Aber man sieht es in den Augen
     der anderen. Der Schwestern und Pfleger und alten Kerle und senilen Weiber. Man sieht in ihren Augen, wenn man sich gerade
     wieder unmöglich benommen hat. Sie haben dann diesen beschämten Blick und bekommen diese betonte Fröhlichkeit. Kennst du doch,
     Klara. Dann fangen sie an, rumzusäuseln und irgendwelchen Unsinn vom Wetter zu reden und vom Essen und davon, dass dies aber
     ein ganz zauberhafter Morgen sei. Ich hasse sie, ich werde sie umbringen, wenn mein Verstand noch dafür reicht, mir ein Brotmesser
     aus der Küche zu mopsen. Sie sollen uns sagen, wenn wir aus dem Rahmen fallen. Und nicht diskret mit Zellstoff den Speichel
     aus unseren Mundwinkeln wischen. Wer sind wir denn, Klara? Wer? Ich war mal Ingenieur und Erfinder und danach Lehrer. Habe
     die tollsten Sachen gebaut. Und Tennis gespielt. Ich hatte eine Wohnung, in der ein Klavier stand. Für wen, weiß ich im Moment
     nicht, aber es fällt mir wieder ein. Ich glaube sogar, ich konnte selbst Klavier spielen. Ich habe Kinder. Zwei Jungen. Männer
     sind das, ja. Die kommen einmal im Monat her und begucken mich argwöhnisch. Einer von beiden zahlt einen Teil des Geldes für
     dieses schöne Zimmer hier und dafür, dass sie

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