Alle Zeit - Roman
berührte. Und vielleicht hat er sich dafür geschämt. So stellt sich Klara das heute vor.
Was hätte sie denn tun sollen, so ohne ihn und ohne irgendjemanden. Sie musste sich doch um das Kind kümmern. Sein Kind, da
konnte er ganz sicher sein. Trotzdemmuss es ihn gewurmt haben, wie die Leute schauten und hinter seinem Rücken redeten, als hätte er seine Klara dem Russen zugeführt
oder sei nicht Manns genug gewesen, ihr dafür eine Maulschelle zu verpassen, wenn sie die Beine breit machte. Aber vielleicht,
denkt Klara, habe ich nur meine Schuld am Russen abgetragen. Für den Franz. Schließlich hat er bestimmt den einen und den
anderen erschossen an der Front. Und wenn die das rausbekommen hätten, wär er dran und weg gewesen. In eines ihrer Lager hätten
sie ihn dann geschickt. Und recht hätten sie damit gehabt.
Franz macht Klara keinen Vorwurf, und Klara schweigt. Sie fährt weiter auf dem Fahrrad über Land und macht die Frauen etwas
glücklicher. Und wenn sie nicht auf dem Land ist, sitzt sie in ihrem Büro, so wie Franz sie bei seiner Heimkehr vorfand. Sie
macht sich alles zu eigen, als hätte sie es selbst erfunden. Die Politik und das schwülstige Gerede dazu. Vom Neuanfang und
vom neuen Menschen. Als gäb’s den im Laden zu kaufen. Denkt Klara manchmal. Und dann sagt sie es dem Franz auch, wenn ihr
die Dinge über den Kopf wachsen. Die Sprüche und das ganze Drumherum.
Als könnte man den Menschen das Gehirn enteignen, so wie sie es mit den ganzen Fabriken getan haben, Franz. Das glaubt doch
keiner.
Klara findet vieles komisch und manches ein bisschen beängstigend, aber wenn sie abends in irgendeiner Dorfkneipe steht und
den Leuten da erklärt, warum alles so ist, wie es geschieht, merkt ihr keiner was an. Auch Franz denkt dann, sie ist eine
ganz Rote. Das stimmt wohl auch, nur hat sie eben hin und wieder ihre Zweifel.
Franz ist gut durchgerutscht. Hat angefangen, sich um die Kultur in der Stadt zu kümmern. Ist in die Partei eingetreten, und
niemand hat nachgefragt, was er an der Frontgetrieben hatte. Immer liegt er abends neben Klara im Bett. Und wenn die Tochter dann endlich schläft, legt er manchmal beide
Hände auf Klaras Brüste und fängt an, ihr Sachen ins Ohr zu flüstern, von denen sie gar nicht wusste, dass es die gibt. Mit
dem Russen war immer alles ganz einfach. Der wollte, dass Klara auf dem Rücken liegt und die Hände auf seine Schultern legt,
wenn er sich über ihr auf und ab bewegte. Und er wollte, dass Klara ein bisschen laut ist, wenn es ihm kommt. Tatsächlich,
mit Ah und Oh, das genügte dem völlig. Nie sind ihm solche Ideen gekommen wie dem Franz. Der schiebt Klara im Bett hin und
her, legt sie mal auf sich und mal unter sich, krümmt ihr den Rücken und pflanzt sie in die Hocke. Klara findet das verwirrend
und nur selten ein bisschen schön. Wenn er ihr die Brüste knetet, tut es manchmal sogar weh. Sie fühlt dann nicht so viel,
wie es der Franz vielleicht erwartet.
Eines Tages fragen sie dann Klara, die inzwischen ein neues Fahrrad bekommen hat und damit viel schneller über Land fährt,
ob sie nach Berlin will, in die Reichshauptstadt sozusagen. Zum Frauenkongress möchte man sie schicken für zwei Tage, und
Klara ist sich nicht sicher. Am Abend erzählt sie Franz davon. Der legt sich auf sie und schaut ihr in die Augen und sagt:
Wir machen uns hier ganz schön gemein, Klara. Hängen werden sie uns dafür, wenn es mal wieder anders kommt. Die Kommunisten
hat doch noch nie jemand wirklich geliebt. Und wir, sind wir welche?
Klara schweigt und denkt, dass dem Franz die Knie weich werden. Sie macht den Mund auf, und da kommt dann raus: Den Stalin
können sie schon alle gut leiden, findest du nicht? So wie der aussieht. Und den Krieg hat er gewonnen. Ist doch ein ganzer
Kerl.
Klara denkt an den Russen und seine Prophezeiung, dass noch immer alle Deutschen jedem hinterherlaufen möchten, wenn der ihnen
nur stark genug scheint. Siesieht Franz an, der inzwischen wieder richtig schön geworden ist. Mit seinen dunklen Haaren, in denen das Grau gut zur Geltung
kommt. Er fängt an, ihre Brüste zu kneten. Dann stockt für eine Sekunde seine rechte Hand, und er tippt auf eine Stelle der
rechten Brust. Links neben der Brustwarze. Was hast du denn da?
Nichts, denkt Klara und schiebt die Hand vom Franz weg. Der lässt sich leicht abbringen und schickt die Hand auf Reisen in
den Süden. Und da passiert, was Klara immer
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