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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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befürchtet hat. Die Zimmertür geht langsam auf, und das Kind steht da und schaut
     verträumt auf seine beiden Eltern, wie sie da liegen, aufeinander und ineinander. Klara flüstert Franz ins Ohr, er möge sich
     runtermachen von ihr. Sie nimmt die Decke als Schutz vor dem Kind, das seine Mutter nie nackt gesehen hat, seit die das erste
     Mal bei dem Russen lag. Wickelt sich die Decke um den ganzen Leib, und Franz sagt, sie solle nicht so verschämt sein, das
     Kind müsse ja wohl auch irgendwann mal wissen, wie Frau und Mann aussehen. Aber das will Klara nicht. Sie stellt sich vor
     Franz und verdeckt den Mann und das ganze Geschlecht, so gut es eben geht. Das Kind dreht sich zum Glück von ganz allein um
     und wandert zurück ins Bett.
    Klara geht hinterher und setzt sich zu dem Mädchen. Auf dem Nachttisch steht die Kaffeekanne. Obwohl das Kind jetzt schon
     zur Schule geht, kann es nicht von ihr lassen. Wie oft hat Klara überlegt, mit wem sie wohl darüber reden könnte. Aber Franz
     sagt immer nur, sie solle das Mädchen lassen, dem der Krieg doch die schlimmsten Jahre beschert habe und den Hunger dazu.
     Er wird nur unleidlich, wenn das Mädchen am Daumen lutscht. Das mag er nicht, und da wird er dann streng, was keiner versteht.
     Schon gar nicht das Kind, dem der Vater ja sonst alles durchgehen lässt.
    Klara hat Franz einmal gefragt, wieso er gerade beim Daumenlutschen so grantig reagiert, wo ihn doch eigentlich nichts aus
     der Ruhe bringt. Und da hat er erst geschwiegen und dann erzählt. Von den vier Partisanen, die sie ausgehoben hatten, in einem
     Dorf, das nicht mehr bewohnt war, eine Ruine von einem Dorf nur. Und da sei diese ganz und gar junge Frau eine von den vieren
     gewesen. Sah wohl noch aus wie ein Kind. Sie hatten alle vier Partisanen an die Wand des zerbombten Hauses gestellt, und kurz
     bevor sie erschossen wurden, steckte sich die junge Frau den Daumen in den Mund. Wurde wieder ein ganz kleines Kind und hat
     vielleicht gedacht, so dem ganzen Ende doch noch zu entkommen. Wie auch immer, entkommen ist sie nicht, hat der Franz erzählt,
     aber ihm ist es danach nie wieder passiert, dass er bei so etwas dabei sein musste. Dieses Mädchen, das er vielleicht sogar
     erschossen hat, obwohl er danebengezielt haben will, ist ihm an den Kragen gegangen, unter die Haut oder wohin auch immer.
     Wenn heute jedenfalls das Kind den Daumen in den Mund steckt, wird der Franz wild und kriegt sich gar nicht mehr zusammen.
    Henriette, sagt Klara und redet das Mädchen ein seltenes Mal beim Namen an. Meist sagt sie nur Mädchen oder mein Kind oder
     Kleine zu ihr. Ihr gefällt der Name Henriette nicht so richtig. Den wollte der Franz, weil ihn schon seine Mutter trug, und
     die war eine mutige Frau, wie er immer sagte. Die hat zwölf Kinder bekommen, was Klara nicht mutig finden kann, und ist nicht
     daran zugrunde gegangen. Beim zwölften hat Franz, das älteste Kind, seinen Vater gefragt, ob es denn jetzt nicht genug sei
     mit dem Kindermachen. Dafür ist er verprügelt worden, dass er drei Tage nicht stehen und nicht sitzen konnte. Und dann ist
     noch ein dreizehntes gekommen und gleich wieder gestorben. Und ein vierzehntes, das schon tot ausdem Bauch geholt wurde. Da schien es dem Vater von Franz dann wohl auch genug. Er hat seine Frau, die Henriette hieß, nicht
     mehr angerührt. So erzählt es Franz.
    Klara streicht dem Mädchen über den Kopf und fühlt die feinen Haare, an denen sie sich manchmal nicht sattsehen kann. Tiefschwarz
     sind die, obwohl ihre doch fast weizenblond wachsen. Klara hat sich von Franz etwas über Erbgesetze erzählen lassen, dass
     alles immer versetzt kommt mit den Ähnlichkeiten, eine Generation verschoben, sozusagen. Wie auch immer, das Mädchen jedenfalls
     hat so was Zigeunerhaftes, findet Klara. Sie kann jetzt nicht mehr tun, als dem Kind über den Kopf zu streichen, denn eine
     Hand braucht sie, um die Decke vorn zuzuhalten.
    Henriette schläft ein. Den rechten Daumen hat sie in den Mund gesteckt und nuckelt daran. Aber nicht sehr leidenschaftlich,
     findet Klara. Und ist froh, dass der Franz im Bett geblieben ist und nicht hier steht. Wenn Henriette richtig schläft, wird
     sie zurückgehen ins Bett, und dann bekommt Franz wahrscheinlich wieder Lust. Es gibt Momente, da gefällt ihr das alles. Franz
     riecht gut und fühlt sich weich an. Seit ein paar Kilo auf seinen abgemagerten Kriegerkörper gekommen sind, scheint er wieder
     ein ganzer Mann zu sein. Doch am

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