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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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fünf oder sechs Mal
     eingecremt. Immer in dieser Reihenfolge. Und wenn sie fertig war, hatte sie doch stets das Gefühl, einen Körperteil vergessen
     zu haben. Da das nicht sein sollte und sich nicht fühlen ließ, welcher Körperteil vergessen war, musste alles noch einmal
     eingeschmiert werden. Wahrscheinlich sieht meine Haut deshalb noch so jung aus, denkt Elisa. Das ganze Fett in all den Jahren
     muss ja was bewirkt haben.
    Sie steigt in ihre Sachen, die sie vorher an einen Haken im Bad gehängt hatte. Dann schminkt sie die Augen undbenutzt den Lippenstift ihrer Mutter. Noch ein Sakrileg, aber das mit dem Handtuch lief ja schon gar nicht so schlecht. Aus
     Henriette wird noch eine ganz normale Mutter. Elisa lächelt sich im Spiegel an. Dann geht sie zurück ins Zimmer. Henriette
     schläft. Ihre Hand liegt immer noch auf dem Herzen. Der kleine Fernseher läuft und zeigt Bauern auf Brautschau. Elisa sieht
     einen kleinen bebrillten Mann, der einer Frau seinen Traktor zeigt. Die Frau darf auf dem Fahrersitz Platz nehmen, und dicht
     an sie gedrängt sitzt der Bauer. Ein mickriger Kerl, der neben seiner künftigen Frau fast verschwindet, aber eindeutig das
     Sagen hat im Führerhaus. Er legt die Hand auf die Hand der Frau und führt sie durch die Gänge. Die Frau juchzt laut und winkt
     mit der freien Hand einem vorbeiknatternden Mopedfahrer, der zurückwinkt. Elisa stellt sich vor, wie der Bauer abends vor
     laufender Kamera mit dieser Stadtamazone ins Ehebett steigt, um die traktorale Beziehung zu vollenden. Ein leichter Ekel legt
     sich auf ihre frisch gesalbte Haut. Elisa presst die Oberschenkel zusammen und schielt zu Henriette. Es wäre ihr peinlich,
     wenn die jetzt aufwachte und das da im Fernsehen sähe. So etwas war ihr schon immer peinlich. Im Kino nicht. Da konnten die
     Leute die tollsten Sachen miteinander veranstalten. Aber Fernsehen war anders. Wenn sich da jemand zum Affen machte, wollte
     sie niemanden neben sich sitzen haben.
    Elisa denkt daran, wie sie einmal mit Juli einen Film gesehen hat. Ihre Tochter wollte diesen Film unbedingt mit ihr zusammen
     gucken. Mit irgend so einem blonden, etwas langweiligen, aber laut Juli total niedlichen Schauspieler. Gott, wie hieß der
     bloß? Sie schickte Elisa bei jeder Szene, die in ihren Augen peinlich war, aus dem Zimmer. Bei jedem Kuss, allem, was mit
     Sex zu tun hatte, auch dem Reden darüber. Bis Elisa nach einer Stunde aufgab und Juli alleinweiterschauen ließ. Ihr war das nicht fremd, dieses Peinlich-berührt-sein. Mit der eigenen Mutter mag man sich nicht ansehen,
     wie im Fernsehen vier Jungs an eine Klostermauer onanieren. Vielleicht nicht einmal allein. Denkt Elisa und zieht Henriette
     vorsichtig die Fernbedienung aus der Hand. Sie schaltet um und sieht, dass ein Unwetter angekündigt wird für den nächsten
     Tag. Einen Meter Neuschnee sagt der leicht dickliche Wetterfrosch voraus. Der, den sie so mag. Er trägt eine Pudelmütze und
     steht auf einem Berg, um allen zu erklären, dass am nächsten Tag der Schnee kommen wird. Und dass man sich in Acht nehmen
     solle.

 
    Aaron benimmt sich wie ein Mann von Welt. Er läuft mit Klara durch den Park und passt auf, dass sie nicht stolpert. Zuerst
     hakt sich Klara bei ihm unter, und dann, nachdem sie den kleinen Ententeich umrundet haben, fassen sie sich an den Händen.
     Wir sind jung, denkt Klara, wenn wir nur wollen, sind wir noch einmal jung. Sie schaut sich Aaron von der Seite an und versucht
     sich zu erinnern, ob der Helmstedter früher auch Hand in Hand mit ihr durch die Straßen gelaufen ist. Sie muss Aaron unbedingt
     vom Helmstedter erzählen. Nachher, wenn sie in einem Café sitzen. Und sich von dieser netten Kellnerin heiße Schokolade bringen
     lassen. Klara seufzt leise. Offensichtlich war der erste Cafébesuch ein kleines Desaster. Zumindest, was ihre Rolle anbelangte.
    Ein winziger dunkler Schatten macht sich in Klaras Kopf breit. Sie drückt Aarons Hand und plappert los. Das hilft manchmal
     gegen dieses Bedürfnis, sich fallen zu lassen in sabbernde Blödheit und nicht mehr wiederzukommen. Aaron lächelt so vor sich
     hin, wie Klara das nun schon kennt.
    Er muss ja nichts erzählen, denkt sie. Wenn Aaron nicht will, und er will offensichtlich nicht, muss er gar nichts erzählen.
     Es reicht, dass die ganze Familie weg ist, ausgerottet, verschwunden. Da will ja keiner mehr hinterher sein, um zu erfahren,
     wie das gewesen ist. Mit der Familie, die sich in Luft aufgelöst hat.

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