Alle Zeit - Roman
sagt Aaron. Hängt davon ab, wann wir loskommen.
Und damit sagt er die Wahrheit. Sie müssen sich schließlich was ausdenken, wenn sie so kurz vor dem Abendessen, das die im
Heim immer schon auf den Tisch bringen, wenn die Sonne noch fast im Zenit steht, noch einmal fortwollen. Draußen sagt Aaron,
da fiele ihm dann schon was ein. Er werde einfach sagen, dass sein Sohn in der Stadt sei und Klara kennenlernen wolle. Ich
sage, mein Sohn hat uns beide zum Abendessen eingeladen.
Klara lächelt und denkt, dass Ausreden meist mehr Wunsch als Ausrede sind. Das war schon immer so, und im Alter wird es dann
wohl ganz und gar richtig.
Aaron zieht Klara aus der großen Hotelhalle und über die Straße, zurück in den Park, am Ententeich vorbei und hin zum Café,
vor das jemand schon mutig ein paar Tische und Stühle gestellt hat. Aber es ist noch zu kühl, um draußen zu sitzen, Klara
zeigt nach drinnen, und Aaron suchteinen Tisch am Fenster, von dem aus man den Ententeich sehen kann und einen kleinen Spielplatz davor.
Die müde, nette Kellnerin ist da und schaut rüber, als hätte sie gleich etwas mit ihnen zu besprechen. Sie kommt und grüßt
und sagt: Schön, dass Sie wieder da sind. Eine heiße Schokolade und ein Kännchen Kaffee?
Klara freut sich. Aufrichtig. Dass die Kellnerin noch weiß, wie sehr sie heiße Schokolade mag. Aaron fragt, ob es Kuchen gebe
zum Kaffee, und die Kellnerin lächelt und zählt vier Sorten auf.
Dann nehmen wir von jedem ein Stück, und zwei Teller. Diese Bestellung scheint die Kellnerin nun ganz froh zu machen. Sie
droht mit dem Finger. Im Scherz. Und sagt: Sie haben Glück. Unser Chef kauft den besten Kuchen der Stadt.
Klara schaut aus dem Fenster und denkt, wenn der Kuchen da ist, fange ich einfach an zu erzählen. Aaron lächelt ihr zu und
rät ein bisschen ihre Gedanken. Du kannst mir alles erzählen, Klara. Alles, worauf du Lust hast. Ich verspreche auch, nicht
eifersüchtig auf deinen Helmstedter zu sein.
Das ist nun so ein sonderbarer Gedanke. Wie der Aaron eifersüchtig wird auf den Helmstedter, als lebte der noch.
Wenn ich noch Bilder hätte, von unserem Haus. Das wir uns gebaut haben, der Franz und ich, nach meiner Operation. Dann wärst
du vielleicht doch eifersüchtig. Wir hatten es richtig schön, da in den Bergen.
Die Kellnerin kommt mit einem großen Tablett und verteilt Schokolade, Kaffee und Kuchen auf dem Tisch. Klara überlegt, ob
sie nach dem Mädchen fragen soll. An die grünen Haare müsste sich die Kellnerin doch erinnern. Aber sie ist sich nicht sicher,
ob sie beim letzten Mal schon gefragt hat. Und sie will nicht blöd erscheinen. Auch nicht vor der Kellnerin. Also lässt sie’s
bleiben.
Sie haben mich völlig zerschnitten, sagt Klara und schaut Aaron an. Mein Körper sah aus wie ein Schlachtfeld. Zuerst hat Franz
nichts gesagt, und ich habe nicht hingesehen. Wenn die Verbände gewechselt wurden und der Arzt kam, um sich anzuschauen, ob
alles gut verheilte, habe ich die Augen zugemacht und nur gehört, was da so geredet wurde. Und Franz kam mich besuchen. Mit
Henriette.
Aaron legt die Kuchengabel auf den Teller zurück und schaut aus dem Fenster. Henriette, murmelt er und wartet darauf, dass
Klara weitermacht. Er hofft, Klaras Verstand genügt für diesen langen Augenblick. Hält durch. Schließlich will er morgen mit
dieser Frau in einem fremden Bett liegen. Da wäre es nur gut, wenn ihm wenigstens Klara nicht mehr so fremd ist.
Henriette ist meine Tochter. Sie hat als Kind mit einer Kaffeekanne gesprochen und mich später verlassen. Mit Elisa, an die
ich mich kaum noch erinnere. Aber nach der Operation war sie noch da, meine Tochter. Und Franz auch. Sie kamen fast jeden
Tag ins Krankenhaus, und Franz erzählte, dass er schon mit dem Häuschen da in den Bergen begonnen habe. Also mit den Planungen.
Mir war es egal. Am Anfang. Ich hatte keine Brüste mehr und konnte mir gar nicht vorstellen, wie das sein würde. Henriette
haben wir erzählt, dass ich operiert worden bin, aber nicht, dass mir nun ein Stück Körper fehlte. Sie hat es, glaube ich,
erst viel später rausgekriegt. Obwohl ich mich immer versteckt habe. Hinter verschlossenen Türen und unter langen Nachthemden.
Aaron, sagt Klara und nimmt seine Hand. Was willst du denn mit meinem alten Körper anfangen?
Das kann ich doch nicht beantworten, denkt Aaron und lächelt Klara beruhigend an. Es ist unsere letzte Chance.
Die Kellnerin kommt, weil sie
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