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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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hinterher: Juli, du kommst nicht aus der Gosse, hier stehen ein paar tausend Bücher.
     Es muss doch möglich sein, richtig zu sprechen. Sie konnte ganz schön arrogant sein, wenn sie wollte.
    Juli steht vor dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite und überlegt, was sie nun eigentlich tun wollte, an diesem
     Punkt. Sie schiebt den Kinderwagen über die Straße und liest die Namen auf den Klingelschildern. Jakobs Name ist dabei. Zumindest
     der Nachname. Das muss noch nichts heißen. Oder doch. Aber es muss nicht heißen, dass Jakob hier wohnt. Juli schaukelt den
     Kinderwagen und schaut nach rechts und links, als wäre da irgendwo eine Lösung versteckt. Sie drückt auf die Klingel und wartet.
     Nach wenigen Sekunden summt der Türöffner. Juli tritt mit dem rechten Fuß nach vorn und stellt ihn in die Tür. Was soll sie
     denn da oben sagen. Aus dem Hausflur sind Schritte zu hören. Jemand steigt die Treppen herab und nähert sich Julis Unentschlossenheit.
     Fragen, denkt sie, kann ich ja. Nur nicht sagen, warum ich frage.
    Der alte Mann sieht böse aus. Oder krank. Das kann man sich aussuchen. Er fragt nichts, zieht nur die buschigen Augenbrauen
     nach oben. Das ersetzt die Mühsal der drei Worte.
    Ich suche Jakob, sagt Juli und wartet erst einmal ab, ob noch eine Erklärung verlangt wird.
    Wohnt nicht mehr hier, sagt der Alte und senkt die Augenbrauen wieder. Ist weggezogen vor drei Monaten. In den anderen Stadtteil.
    Welchen anderen Stadtteil, denkt Juli und wartet weiter ab. ’Ne Freundin?, fragt der Alte und leckt sich die Lippen. Dann
     schielt er um die Ecke und auf den Kinderwagen und schließt den Mund, als hätte ihm jemand befohlen, jetzt die Klappe zu halten.
    Wir sind zusammen zur Schule gegangen, sagt Juli und tut ganz fröhlich. Ich suche alle zusammen. Für ein Treffen.
    Dem alten Mann bleibt das Misstrauen im Gesicht, aber er hat wohl auch keinen Grund, jetzt nein zu sagen. Er murmelt schnell
     einen Straßennamen und eine Hausnummer, dreht sich um und steigt die Treppe wieder hoch. Juli interessiert ihn schon nicht
     mehr.
    Die wiederholt Straße und Hausnummer so lange, bis sie einen kleinen Zettel und einen Stift gefunden hat, um beides zu notieren.
     Zu Hause wird sie im Stadtplan nachsehen. Den Straßennamen hat sie noch nie gehört. Aber nun ist ein Aufschub da. Sie kann
     sich noch einmal in Ruhe überlegen, ob sie Jakob wiedersehen will. Vielleicht wohnt er mit einer Frau zusammen. Das hätte
     sie fragen können, aber es wäre verdächtig gewesen. Der Alte hat doch sofort gerochen, was hier Sache ist.
    Juli läuft mit Svenja noch eine große Runde durch den Park. Das Café hat heute zu. »Aus Betriebsgründen geschlossen« steht
     auf einem Pappschild an der Tür. Was mögen das für Gründe sein, fragt sich Juli und späht durchs Fenster. Niemand ist drinnen.
     Die Stühle sind hochgestellt, und der Fußboden sieht frisch gewischt aus. Hoffentlich haben sie morgen wieder auf, denkt Juli
     und schiebt sich und Svenja langsam nach Hause. Die alte Dame ist auch nirgendwo zu sehen. Aber diese Hoffnung hat sie nun
     auch schon fast aufgegeben.
    Kurz vor der Haustür fängt Svenja an zu weinen. Juli trägt das Kind die Treppe hoch und legt es im Flur aufden Boden. Dann zieht sie sich aus. Sie wickelt Svenja aus ihren Sachen, schaut in die Windel, die noch trocken ist, und setzt
     sich zum Stillen ins Wohnzimmer. Im Moment scheint ihr das mit Jakob keine gute Idee mehr zu sein. Svenja schläft beim Trinken
     ein. Juli holt sich nach dem Stillen einen Stadtplan aus dem Küchenschub. Der andere Stadtteil, von dem der alte Mann gesprochen
     hat, ist Charlottenburg. Für den Alten wahrscheinlich Westberlin. Sonst hätte er es anders ausgedrückt. Juli findet, dass
     die Alten und die Älteren es nicht lassen können. Mit dem Osten und dem Westen und allem, was dazwischen liegt. Selbst Elisa
     hat es nicht hingekriegt. Mit der Bahn nach Schöneberg zu fahren war eine ganz andere Angelegenheit, als in Marzahn jemanden
     zu besuchen. Sie haben darüber gestritten, so lange, bis Elisa ihr einmal sagte: Du hast kein Recht, Juli, es ist mein Leben
     und meine Geschichte. Und wenn ich vergessen soll, dass dies hier mal Ostberlin war und auf der anderen Seite Westberlin,
     dann kann ich auch gleich mit vergessen, dass du meine Tochter bist. Mach du dir deine Geschichte selbst. Und lass mich in
     Ruhe.
    Juli legt den Stadtplan weg und denkt daran, wie wütend sie damals war. Eine pubertierende,

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