Alle Zeit - Roman
Weg, und die schüttelt den Kopf, zeigt mit dem Finger auf ihren Mund und murmelt verlegen etwas
in einer Sprache, die Juli nicht versteht. Mit der nächsten Frau geht es ihr genauso. Dann schnappt sie sich ein Kind, das
kann erklären, wie sie zu der Straße kommt, die sie sucht. Es ist eine kleine, hübsche Straße mit hohen Bäumen und stuckverzierten
Häusern. Juli nimmt sich vor, nicht lange zu überlegen, wenn sie vor der Tür steht, sondern gleich zu klingeln. So macht sie
es, und tatsächlich, obwohl sie eine Tageszeit gewählt hat, die eher für leere Wohnungen spricht, wird die Haustür sofort
geöffnet. Juli zählt einhundert und zwei Stufen, bis sie unterm Dach und vor der richtigen Wohnungstür steht.
Jakob reißt die Tür auf und starrt auf das grünhaarige Mädchen vor ihm. Juli, sagt er und fängt an zu lächeln. Juli. Dass
ich dich noch mal wiedersehe.
Er tritt zur Seite und zieht Juli in den Flur und wendet den Kopf nach hinten und ruft nach jemandem. Aus dem hinteren Zimmer
kommt eine Frau. Sie sieht älter aus als Jakob, aber nicht zu alt, und sie ist schön. Juli greift sich mit der rechten Hand
in die grünen Haare und versucht halbherzig, fröhlich zu wirken. Hallo, sagt sie und kommt sich dick und dumm und unpassend
vor.
Das ist Juli, sagt Jakob zu der schönen Frau. Ich habe dir von ihr erzählt. Er fragt nicht, zum Glück macht er das nicht,
warum Juli da ist, sondern tut so, als hätte das seine Richtigkeit. Die Frau geht in die Küche und holt Wasser und Saft und
stellt eine Schale mit Äpfeln auf den Tisch und eine mit Bonbons. Juli beantwortet alle Fragen, und irgendwann sagt sie auch
das mit dem Kind. Dass es Svenja gibt und wie froh sie darüber ist. Und Jakob fragt, wie alt Svenja ist, und stutzt kurz,
als Juli antwortet, undschaut rüber zu der schönen Frau, die sich interessiert nach vorn beugt und nach dem Vater des Kindes erkundigt.
Das ist der Moment, denkt Juli, der Moment der Wahrheit. Aber es hat keinen Sinn. Ich kann jetzt nichts sagen. Und sie macht
den Mund auf und sagt, dass sie sich getrennt habe vom Kindsvater, weil der noch viel zu jung sei für so eine Verantwortung.
Jakob lacht, erleichtert, denkt Juli, und sagt, das klänge aus ihrem Mund aber seltsam, wo sie ja auch noch blutjung sei.
Ja, sagt Juli, aber ein Kind verändert alles. Zumindest für mich. Für uns. Frauen, meine ich. Wir haben dann keine anderen
Pläne mehr. Wenn das Kind da ist.
Was rede ich für einen Blödsinn, denkt Juli und schaut sich noch einmal die schöne Frau an. Natürlich habe ich andere Pläne.
Sie steht auf und sagt, sie müsse jetzt gehen. Svenja sei nur für ein paar Stunden bei einer Freundin. Jakob hat noch immer
nicht gefragt, warum sie nun eigentlich gekommen ist, den weiten Weg aus dem anderen Teil der Stadt, hierher zu ihm.
Dann tut es die schöne Frau für ihn. Und fragt: Warst du hier einfach nur in der Gegend? Woher hattest du denn die Adresse
von Jakob?
Juli erzählt, wie sie bei seinem Vater geklingelt hat, und weiß in dem Moment, dass die Energie, die sie in das Finden von
Jakob gesteckt hat, den beiden seltsam vorkommen muss. Sie braucht eine vernünftige Erklärung. Aber sie hat keine.
Bist du allein, Juli, fragt Jakob.
Nein, sagt Juli, dreht sich um und geht. Sie winkt noch einmal, als sie auf der Treppe ist, so als wäre dies nichts weiter
als ein fröhlicher kleiner Besuch gewesen, und hört, wie oben die Wohnungstür geschlossen wird. Was bin ich blöd, denkt Juli,
als sie unten auf der Straße steht. Washabe ich mir dabei gedacht? Sie setzt sich auf eine kleine Mauer gleich neben Jakobs Haus, vor einem Heim der Arbeiterwohlfahrt
und fängt an zu weinen. Die Frau war viel zu schön. Jakobs Frau, denkt Juli. Und Jakobs Kind.
Sie steht auf und verläuft sich noch zweimal auf dem Weg zur S-Bahn. Aber jetzt fragt sie niemanden. Sondern heult nur leise
vor sich hin und freut sich auf Svenja, die ihr Trost sein wird.
Die Hanuller sind alle da. Sie sitzen schon beim Abendessen zusammen, und Henriettes Verehrer winkt und macht Zeichen, dass
man sich nachher treffen wolle. Henriette nickt und lächelt. Heute Abend wird das also nichts mit uns, denkt Elisa und spürt
eine kleine Erleichterung. Aufschub, denkt sie. Und am Ende werde ich eine ganz banale Geschichte hören. Henriette kann die
Dinge ja auch mächtig aufbauschen, wenn sie will. Es wird sich herausstellen, vielleicht wird sich herausstellen, dass
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