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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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verprügelte nicht seine Frau und zerschlug nicht die Möbel, wenn er
     betrunken war. Das machte ihn in den Augen der anderen besonders. Wenn man mal davon absieht, dass er den Pastor zusammengeschlagen
     hat.
    Du hast wahrscheinlich keine Vorstellung davon, wie es früher war auf dem Land, in den Dörfern. Auch wenn es sozialistische
     Dörfer waren, in denen man das ganze Jahr über Mailosungen an den Mauern lesen konnte. Aber da wurde gesoffen und geprügelt,
     und es wurden Kinder gemacht und den Kindern gleich wieder Kinder, und niemand wusste, wer mit wem in den Nächten rummachte.
    Rummachen, denkt Elisa, das sind ja ganz neue Töne, die Henriette da von sich gibt. Rummachen. In der Sauna hat sie das noch
     viel vornehmer ausgedrückt. Hier passiert eine ganze Menge mit uns.
    Es gab vielleicht vier oder fünf Menschen, mit denen man reden konnte. Ich wiederhole mich, nicht wahr,Elisa? Aber ich kann auch nur immer die gleichen Dinge erzählen, wenn es um diese Zeit geht. Es war halt ein dreckiges, langweiliges
     und schlechtes Leben. Man hatte das Gefühl, nie da rauszukommen.
    Und dann wurde ich zu einer Weiterbildung geschickt. In die Kreisstadt. Eine Woche lang. Waren gute Tage. Vielleicht damals
     die schönsten Tage, die ich bekommen konnte. Dein Vater, dein Stiefvater musste sich um Haushalt und Kinder kümmern. Weiterbildung
     war Pflicht. Kannst du dich noch an die Tage erinnern? Allein mit deinem Vater?
    Allein mit meinem Stiefvater? Elisa ist sich nicht sicher, ob sie eine Erinnerung hat, aber dann kommen doch ein Bild und
     eine Vorstellung und eine Scham. Wie sie abends in dem kleinen, durch einen Vorhang vom Wohnzimmer abgeteilten Verschlag in
     ihrem Bett liegt. Und wie der Vater nach Hause kommt und die Freundin der Mutter mitbringt. Und mit ihr im Wohnzimmer sitzt
     und Bier trinkt und redet. Unbekannte Geräusche kommen aus dem Wohnzimmer. Was immer ihr Stiefvater mit dieser Freundin der
     Mutter macht, soll sicher niemand wissen. Da warst du also auf einer Weiterbildung. Ich kann mich erinnern. An diese Tage.
    Ich habe einen Mann kennengelernt. Bei der Weiterbildung. Einen gutaussehenden jungen Mann. Der erinnerte mich an Olaf, der
     mit dem Baumhaus, weißt du? Wir waren jeden Abend zusammen, und am zweiten Abend schon haben wir die halbe Nacht noch drangehängt.
     Da war man ja untergebracht wie im Ferienlager, immer vier Leute auf einem Zimmer. Es ging also nicht, dass man da unter eine
     Decke kroch. Deshalb sind wir spazieren gegangen und haben wie die Teenager auf Parkbänken gesessen und.
    Elisa weiß, dass Henriette das jetzt nicht ausführenkann und wird. Was sie mit dem jungen Mann auf Parkbänken gemacht hat. Ist auch nicht wichtig. Das alles scheint nur der Vorspann
     für etwas anderes zu sein. Eine andere, viel bedeutsamere Erzählung.
    Inzwischen hat es angefangen zu schneien. Ganz sacht erst, aber der Himmel sieht aus, als hielte er noch Überraschungen bereit.
    Wir sind gleich da, sagt Elisa und läuft ein wenig schneller. Möchtest du erst zu Olaf gehen?
    Henriette verneint. Sie will, dass sie sich heimlich an und in das Haus schleichen, nur noch einmal schauen und dann gleich
     wieder zurücklaufen. Ins Hotel, wo es warm und sicher ist. Wenn es nach Elisa geht, können sie das so machen. Gestern mochte
     sie Olaf und seine Geschichten, aber heute hat sie wenig Lust auf eine Fortsetzung. Wir sind sowieso viel früher hier als
     gedacht. Er wird uns nicht sehen.
    Elisa bekommt die Tür vom Haus schnell auf. Wie sie es erwartet hat. Drinnen riecht es. Stark. Nach verrottetem Holz, Mäusedreck
     und unbestimmbaren Dingen. Henriette geht zum Fenster und zieht leicht an den gehäkelten Vorhängen. Die geben sofort nach
     und fallen auf den Boden, und wie sie da liegen, sehen sie plötzlich ekelhaft aus. Wirklich seltsam ist nur, dass auf dem
     Tisch in der Mitte des Zimmers noch die Reste einer Mahlzeit stehen. Der Tisch ist für zwei gedeckt, und am Ende hat sich
     niemand die Mühe gemacht, die Teller und Gläser abzuräumen oder den Topf zu leeren, der da steht und einen undefinierbaren
     Rest enthält, hart und geruchlos. Henriette fängt an zu weinen. Schon wieder, denkt Elisa und nimmt die Mutter in die Arme.
     Das kann dich doch jetzt nicht überraschen, nach so vielen Jahren. Es ist doch ein Wunder, dass hier überhaupt noch irgendetwas
     steht. Schau mal, da hinten, die kleine blaue Vase. Hat die Klara gehört?
    Henriette schaut und nickt, und Elisa geht zu dem

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