Allein auf Wolke Sieben
um.
Auch in den nächsten Stunden kann ich mich nicht entschließen, Theo nach oben zu folgen. Ich schaffe es einfach nicht. Zuzusehen, wie mein toter Körper abgeholt wurde, war nur halb so schlimm, wie Michael gehen zu sehen. Ich bin vollkommen fertig. Mein Todesengel redet auf mich ein wie auf ein lahmes Pferd. Am Morgen kommt Schwester Klara ins Zimmer und schaudert kurz zusammen. Natürlich, vermutlich ist es kalt hier, nachdem die ganze Nacht das Fenster offen stand. Entschlossenen Schrittes geht sie darauf zu.
»Schnell«, ruft Theo und jetzt klingt seine Stimme panisch, »wir müssen raus, sonst sitzen wir den ganzen Tag hier.«
»Mir doch egal«, sage ich bockig, aber auch erschöpft.
»Jetzt komm schon«, fährt er mich heftig an, »was willst du hier? Vielleicht der Krankenhausgeist werden?« Gleichmütig zucke ich die Achseln. Von mir aus. Besorgt sieht Theo zu Schwester Klara hinüber, deren Hand sich schon am Griff des Fensters befindet. Sie sieht in den Himmel hinauf, an dem bedrohliche Gewitterwolken vorüberziehen. »Dein Mann wird nie wieder einen Fuß in dieses Krankenhaus setzen«, sagt Theo so scharf, dass ich zusammenzucke. »Los jetzt!« Wir schaffen es gerade noch so eben, bevor sich das Fenster vollends schließt. Ich werfe einen Blick zurück auf Klara, die mir zuzunicken scheint.
»Was für eine Scheiße«, schimpfe ich auf dem Weg nach oben, ohne darauf zu achten, was für eine erstaunliche und neue Art der Fortbewegung das ist. Ich bin
viel zu sehr damit beschäftigt, mit meinem Schicksal zu hadern. »Totsein ist scheiße«, sage ich inbrünstig und erhalte dafür einen missbilligenden Seitenblick von Theo. »Guck mich nicht so an«, blöke ich unwillig, »oder kannst du mir einen einzigen Grund nennen, weshalb ich im Moment glücklich sein sollte? Weil ich in den Himmel auffahre? Sitze ich gleich zur Rechten Gottes und schaue auf die Erde hinunter?«
»Nun, das wohl nicht, er ist sehr beschäftigt«, gibt er ernsthaft zur Antwort und ich schnappe nach Luft.
»Tatsächlich? Da kann er aber von Glück sagen, wenn ich den nämlich in die Finger kriege, dann …« Ich lasse den Satz unvollendet, denn was genau ich dann mit Gott anstellen werde, möchte ich mir doch in Ruhe überlegen. Außerdem lässt mich der furchtsame Ausdruck in Theos Augen verstummen. »Hast du Angst, dass du einen Umweg über unten nehmen musst, wenn ich jetzt mit Gotteslästerei anfange?«, erkundige ich mich spöttisch und er schüttelt ernsthaft den Kopf.
»Falls du mit unten die so viel zitierte Hölle ansprichst, dann darf ich dir hiermit mitteilen, dass es keine Hölle gibt.«
»Na wunderbar«, sage ich sarkastisch, »das heißt also, da oben wimmelt es von Arschlöchern? Das sind ja schöne Aussichten.« Kopfschüttelnd sieht Theo mich an.
»Du bist wirklich sehr wütend«, stellt er ruhig fest. So ruhig, dass er mich noch zorniger macht.
»Natürlich bin ich wütend«, platze ich heraus, »wer wäre das nicht, wenn er aus einem derart wundervollen Leben einfach herausgerissen wird?«
»Du meinst, es ist schöner, aus einem schrecklichen Leben herauszusterben«, erkundigt er sich arglos und ich
nicke heftig. »Dann hättest du Michael vielleicht lieber gar nicht erst kennengelernt?«, fährt er fort und ich stutze. Wie kommt er denn auf die Idee?
»Natürlich nicht, was für ein Blödsinn«, sage ich grob.
»Du hast dir Glück und Liebe gewünscht in deinem Leben und reichlich davon bekommen. Meinst du nicht, das ist ein Grund, um dankbar zu sein?«
»Schon«, gebe ich schweren Herzens zu, »aber wieso muss es jetzt schon vorbei sein?« In dieser Frage ist nun auch mein Helfer mit seinem Latein am Ende, denn er zuckt mit den Schultern und sagt: »Weil es Gottes Wille ist.«
»Wenn ich den erwische«, knirsche ich durch die Zähne hindurch, aber so leise, dass Theo es mit ein bisschen guten Willen überhören kann. Unglücklich schwebe ich vor mich hin. Michaels Anblick geht mir nicht mehr aus dem Kopf, seine Fassungslosigkeit, dass ich ihn verlassen habe. »Warum konnte ich ihm nicht wenigstens noch sagen, dass ich ihn liebe? Warum konnte ich ihm nicht auf Wiedersehen sagen?«, wimmere ich und Theo sieht mich fast erstaunt an.
»Wozu denn das? Irgendwann wirst du ihn wiedersehen, ist das nicht viel wichtiger?«
Kapitel 7
Ich bin wirklich erleichtert, als Liesel kurz nach Sonnenaufgang endlich aus ihrer Wohnung herunterkommt und ich nicht weiter über meinen Tod nachdenken muss, der mir
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