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Allein auf Wolke Sieben

Allein auf Wolke Sieben

Titel: Allein auf Wolke Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Voosen Jana
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auch heute, sechs Jahre später, noch immer schwer an die nicht vorhandenen Nieren geht. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg, gehen die Milchstraße hinunter, dann weiter über den Kirchweg und bis zur Himmelsstraße, an der keine Wohnhäuser stehen, sondern sich ein Firmengebäude neben das nächste reiht, »Soulflow GmbH«, »Reincarnation GmbH & Co. KG«, aber auch der riesige Verwaltungskomplex »O.R.G.A. oHG« und einige kleinere Geschäftshäuser. In Richtung Süden wandern wir aus der Stadt hinaus und befinden uns nach einer halben Stunde auf einem freien Wolkenfeld. Liesel zieht einen altmodischen Kompass aus der Tasche ihrer Jeans und wirft einen Blick darauf. Dann nickt sie zufrieden.
    »Immer da lang«, sagt sie und zeigt mit der Hand in den stahlblauen Himmel vor uns, »immer auf die Sonne zu.« Wir wandern eine Stunde lang, dann noch eine und noch eine. Die Sonne steht mittlerweile fast am höchsten Punkt und wir laufen noch immer direkt darauf zu. Ab und zu kontrolliert Liesel die Richtung mit ihrem
Kompass, ansonsten lässt sie sich ohne Unterlass über die Schönheit der Natur hier oben aus. Ich kann ihre Begeisterung nicht so ganz teilen, wahrscheinlich bin ich viel zu angespannt. Aber selbst wenn nicht, wäre ich kaum in der Lage, mich stundenlang an dem exakt gleichen Ausblick zu erfreuen. Ich wende den Kopf in alle Richtungen, nichts ist zu sehen als der dichte, schneeweiße Wolkenteppich zu unseren Füßen, das satte Blau des Himmels und die strahlend goldene Sonne über uns. Hübsch, ja, zugegeben, aber auf die Dauer doch ein bisschen langweilig. Sehnsüchtig denke ich an die abwechslungsreiche Landschaft auf der Erde, an weiße Sandstrände und türkisfarbenes Meer, steinige Klippen, an denen sich die Wellen brechen. An funkelnde Gebirgsseen, dichtbewachsene Nadelwälder und leuchtend rote Klatschmohnfelder.
    »Wie lange brauchen wir denn noch?«, erkundige ich mich leicht quengelig.
    »Wieso? Tun dir die Füße weh?«, fragt Liesel zurück und kichert leise vor sich hin. Selten so gelacht.
    »Wie lange muss man eigentlich tot sein, um endlich drüber lachen zu können?«, frage ich sarkastisch, denn diese Art von Witzen kann ich gar nicht komisch finden, obwohl man im »Sternenfänger« gerade zu fortgeschrittener Stunde kaum etwas anderes hört. »Ach, einer geht noch oder macht dir schon die Leber zu schaffen, höhöhö.«
    »Wenn man so wenig Sinn für Humor hat wie du, dann könnte das noch ein paar Jahre dauern«, beantwortet Omi meine Frage.
    »Sag doch mal, wann sind wir denn nun endlich da?«, quengele ich erneut, ohne auf die Beleidigung einzugehen.
Sie hat ja Recht. Ich habe meinen Sinn für Humor verloren. Unten war ich immer lustig und humorvoll, ja, irgendwann habe ich sogar gelernt, über mich selbst zu lachen. Aber seit ich tot bin, geht mir diese Fähigkeit ab.
    »Um zwölf«, antwortet Liesel und nach einem Blick auf den Sonnenstand atme ich erleichtert auf. Es müsste so ungefähr zwanzig vor sein, also gleich geschafft. Obwohl ringsum noch immer kein Haus oder sonst etwas zu erkennen ist, nichts als Wolken, so weit das Auge reicht.
    »Und du bist sicher, dass wir uns nicht verlaufen haben?«, frage ich misstrauisch. Sie nickt voller Überzeugung. »Na, wenn du meinst«, sage ich unsicher, denn plötzlich überkommt mich ein beklommenes Gefühl. Seit Stunden sind wir nun schon unterwegs, um uns unendliche Weiten, eine einzige Wolkenwüste geradezu. Wie leicht man da die Orientierung verlieren kann, Kompass hin oder her. Abrupt bleibe ich stehen.
    »Omi? Verzeihung, Liesel, woher weißt du, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind? Hier scheint im Umkreis von Kilometern nichts zu sein.«
    »Keine Sorge, wir sind gleich da«, beruhigt sie mich.
    »Aber wann denn?«
    »Das habe ich doch schon gesagt, um zwölf.«
    »Aber es ist doch schon zehn vor«, rufe ich verzweifelt und mache eine ausholende Handbewegung. »Und hier ist absolut nichts.«
    »Nun sei doch nicht so ungeduldig«, sagt sie mit leichtem Tadel in der Stimme, »ich sage doch, dass wir in zehn Minuten da sein werden.«
    »Gib mir mal den Kompass«, sage ich und reiße ihn ihr
förmlich aus der Hand. Irgendwas stimmt doch hier nicht. Wie sollen wir in zehn Minuten bei Gott ankommen, wenn im Umkreis von schätzungsweise zwanzig Kilometern, denn so klar ist die Sicht heute, nichts, aber auch gar nichts zu sehen ist.
    »Was für einen Kompass meinst du, Schätzchen?«, fragt Omi überrascht, während ich ihn

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