Allein auf Wolke Sieben
kommt ein weiteres Ärzteteam herein, schweigend nicken sie Michael zu und machen sich dann diskret an meinem Bett zu schaffen.
»Wo bringen Sie sie hin?«, fragt er und der ihm am nächsten stehende Mann sieht überrascht auf. Noch ehe er etwas sagen kann, tritt Schwester Klara heran, drückt Michael sanft auf einen Stuhl an der Wand und geht davor in die Hocke, als würde sie mit einem Kleinkind sprechen. Und genauso sieht er im Moment auch aus, so verwirrt und alleine.
»Ihre Frau hatte einen Organspenderausweis«, sagt sie mit sanfter Stimme und macht eine kurze Pause, bevor sie weiterspricht. »Es war ihr Wunsch, mit ihren Organen anderen Menschen das Leben zu retten.« Erneut hält sie inne, sieht Michael angespannt in die Augen, als befürchte sie, er werde protestieren. Das wird er nicht. Er wusste von dem Spenderausweis, er selber hat ja auch einen. Deshalb nickt er jetzt kaum merklich. »Wenn Sie sich noch verabschieden wollen, lassen wir Sie kurz alleine.«
»Ich verstehe schon«, gibt er zurück, »ja, das wäre gut.« Klara gibt den anderen ein Zeichen und sie gehen aus dem Zimmer. Michael erhebt sich mit einem Ruck und tritt an mein Bett. Er starrt mich an, dann beugt er sich über mich. Beziehungsweise über meinen Körper. Er
küsst meine kalten Lippen, ganz schnell, dann setzt er sich wieder auf den Stuhl. Ich kauere mich neben ihn, während Theo in seiner Ecke vernehmlich seufzt. Gemeinsam sehen wir den Ärzten dabei zu, wie sie mich aus dem Zimmer fahren, um mir meine Organe zu entnehmen. Soweit habe ich nie gedacht, auch nicht, als ich den Spenderausweis beantragt habe. Insgeheim war ich davon ausgegangen, dass ein hundertjähriges Herz, uralte Leber, Nieren und Lungen sich nicht mehr zur Transplantation eignen. Und so alt wollte ich werden. Mindestens. Stundenlang sitzen wir so da, zu dritt in dem gespenstisch ruhigen Krankenzimmer. Michael starrt den Boden an, und ich ihn. Ich hätte noch so viel zu sagen.
»Können Sie nicht vielleicht mal eine Runde um den Block gehen, damit ich mich richtig verabschieden kann?«, frage ich Theo gereizt, der es sich auf dem Fußboden bequem gemacht hat und interessiert seine Zehen beobachtet. Bedauernd schüttelt er den Kopf.
»Tut mir leid, das ist gegen die Vorschriften.«
»Wie bitte? Was denn für Vorschriften?«, frage ich empört.
»Laut des R.A.B.S.E. ist es mir leider nicht gestattet …«
»Rappse?« Verständnislos sehe ich ihn an.
»Das Regelwerk zur Abholung und Begleitung der Seelen von der Erde, also R – A – B …«, beginnt er geduldig zu buchstabieren, doch mir reißt der Geduldsfaden.
»Ist mir scheißegal, wie sich das schreibt. Sie verschwinden jetzt hier, auf der Stelle, damit ich mich ungestört von meinem Mann verabschieden kann.«
»Hören Sie, junge Frau, das würde ich wirklich gerne tun, aber ich sage doch, es ist gegen die Vorschriften. Außerdem«, er wirft einen Blick aus dem geöffneten Fenster in die mittlerweile stockfinstere Nacht, »sollten wir jetzt wirklich langsam aufbrechen.«
»Nicht, bevor ich mich nicht verabschiedet habe. Allein!«, schalte ich auf stur und er seufzt tief auf. Zur Untermauerung meines Entschlusses verschränke ich die Arme vor der Brust und sehe ihn störrisch an. Keinen Millimeter gehe ich hier weg, bevor ich Michael wenigstens noch eine Minute für mich allein hatte.
»Na schön«, stöhnt Theo jetzt übertrieben auf und rappelt sich umständlich vom Boden auf. Zufrieden drehe ich mich zu Michael um, der sich gerade von seinem Stuhl erhebt, ganz schnell, und ehe ich verstehen kann, was passiert, das Zimmer verlässt.
»Warte«, rufe ich und laufe ihm ohne zu zögern hinterher. Er kann doch nicht einfach weggehen. Ausgerechnet jetzt, wo ich noch ein paar Minuten Zweisamkeit für uns herausgeschlagen habe.
»Vorsicht«, höre ich Theos warnende Stimme, als mich etwas wie ein Stromschlag trifft und mitten im Türrahmen zum Anhalten zwingt. Kurz muss ich mich von dem Schock erholen, dann fahre ich zu Theo herum und fauche wütend: »Wag das ja nicht noch mal. Lass mich gehen.«
»Das war nicht ich«, sagt er hilflos. »Es tut mir leid, du kannst ihm nicht hinterher.« Erneut versuche ich, durch die Tür zu kommen, diesmal mit Schwung. Erneut geht ein Ruck durch mich hindurch und mir wird ein bisschen übel. Theo sieht mich mitfühlend an. »Tut mir leid«, sagt er aufrichtig. Ich nicke wie betäubt und sehe
Michael hinterher, wie er den Gang entlangläuft. Er dreht sich nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher