Allein auf Wolke Sieben
Bett. »Alles wird gut.« Er liegt zusammengerollt wie ein kleines Kind. Hilflos sehe ich auf ihn hinunter. Irgendwann geht sein haltloses Schluchzen in stilles Weinen über, das schließlich auch verstummt. Ich sehe ihm in die seltsam leeren Augen und setze mich gespannt auf. Ich glaube, gleich ist es so weit. »Es ist gar nicht so schlecht bei uns oben«, beginne ich ihm zu erzählen, während er nach der Plastiktüte greift, die zusammengeknüllt neben der Matratze liegt. »Die meisten Seelen sind furchtbar nett. Abends gehen wir in den ›Sternenfänger‹ und genehmigen uns einen Smell, das ist so eine ganz tolle Erfindung von dem Besitzer. Ich darf es eigentlich nicht weitersagen, aber er ist die Seele von Mozart. Wolfgang Amadeus Mozart. Kannst du dir das vorstellen?«, plappere ich, während Andreas damit beginnt, Dutzende von Schlaftabletten aus den Zellophanstreifen
zu drücken. Mit der Fernbedienung schaltet er die Stereoanlage wieder an. »Verstehe, ist nicht so ganz deine Musik. Ob Kurt irgendwo da oben rumläuft, weiß ich gar nicht so genau«, gebe ich zu. »Aber ich kenne auch wirklich nur einen ganz kleinen Teil des Himmels. Jedenfalls ist es wirklich sehr schön. Du kannst deine Wohnung per Gedankenkraft einrichten«, dabei werfe ich einen schiefen Blick auf die karge Einrichtung um mich herum, »und Wäsche machen muss man auch nicht.« Ich weiß selber nicht, warum ich nicht einfach die Klappe halte. Er kann mich doch sowieso nicht hören, außerdem ist es überhaupt nicht meine Aufgabe, ihn von irgendetwas zu überzeugen. Ich soll ihn doch bloß nach oben mitnehmen. Vermutlich bin ich angesichts des ersten Suizids in sechs Jahren aufgeregter, als ich zugeben will. Andreas hat damit begonnen, aus den Schlaftabletten Buchstaben vor sich auf den Teppich zu legen.
»G …I …N …A«, buchstabiere ich. »Gina? So sieht sie auch aus! Das ist doch ein blöder Name. Die hat dich gar nicht verdient«, sage ich tröstend zu ihm, während er sich aufrappelt und aus dem Zimmer geht. Gleich darauf kommt er zurück, eine Flasche Wasser in der einen, sein Telefon in der anderen Hand. »Du meinst es wirklich ernst«, stelle ich fest, denn wer Tabletten mit Alkohol zu sich nimmt, der spuckt sie schneller wieder aus, als sie wirken können. Andreas lässt sich wieder aufs Bett plumpsen, ich kann gerade noch zur Seite springen. Unschlüssig spielt er mit dem Handy herum. »Nur zu«, versuche ich ihn zu ermuntern, obwohl ihm die Angst ins Gesicht geschrieben steht. Mit Recht, muss ich leider sagen. In meinem Ablaufplan steht alles haargenau verzeichnet.
Gleich startet er einen letzten Anruf bei dieser Gina, aber die wird ihn wegdrücken, wie immer. »Komm schon, bringen wir es hinter uns, es ist nun mal nicht zu ändern. Aber da oben gibt es viel schönere Frauen als die blöde Gina, wirst schon sehen. Man kann dort zwar keinen Sex haben, aber wenn sich die Seelen berühren, das ist auch ein schönes Gefühl!« Ich fange schon wieder an zu plappern und verstumme erst, als Andreas entschlossen eine Taste auf dem Telefon drückt und es sich dann ans Ohr hält. Seine Hand zittert dabei unkontrolliert, die hellblauen Augen flackern vor Angst. Ich höre das schwache Tuten des Freizeichens und sehe ihn mitleidig von der Seite an. Hoffentlich fängt er nicht wieder an zu weinen, bete ich im Stillen und merke zu spät, dass ich die emotionale Distanz, die für meinen Beruf so wichtig ist, komplett aufgegeben habe. Jetzt müsste ihre Mailbox drangehen. Gleich haben wir es geschafft. Plötzlich geht ein Ruck durch den zusammengesunkenen Körper neben mir.
»Gina«, stößt er hervor, »oh Gott, bin ich froh, deine Stimme zu hören!«
»Was?«, rutscht es mir heraus und ich sehe ihn völlig verblüfft an.
»Gina, bitte, leg nicht wieder auf. Lass uns noch mal darüber reden. Es tut mir alles so leid. Wenn du mir doch noch eine Chance …«
»Moment mal«, rufe ich dazwischen, ohne dass es mir etwas nützen könnte, »irgendwas läuft hier gerade schief.«
»Wirklich?«, fragt Andreas.
»Ja, wirklich«, antworte ich nachdrücklich, bevor ich merke, dass er nicht mir geantwortet hat.
»Wirklich?«, wiederholt er und plötzlich wird sein eingefallenes, trauriges Gesicht durch ein Lächeln erhellt. »Aber das ist ja …« Ich lehne mich zu ihm herüber, um vielleicht ein paar Worte vom anderen Ende der Leitung aufschnappen zu können, aber er hält den Hörer ganz nah an sein Ohr gepresst. Also bleibt mir nichts anderes
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