Allein auf Wolke Sieben
übrig, als aus seinen Antworten Rückschlüsse zu ziehen. »Ja, ich denke auch die ganze Zeit an dich.« Nun, das war jetzt nicht sonderlich schwierig. Was soll denn das alles? Ich krame in meiner Rocktasche nach dem Auftrag und vertiefe mich in das Kleingedruckte. Wieso denkt sie an ihn? Wieso ist sie ans Telefon gegangen? Das steht hier aber anders drin. Vorwurfsvoll sehe ich zu Andreas, der jetzt auf die Füße springt und zum x-ten Mal »Wirklich?« ruft. Er sieht richtig süß aus, wenn er lächelt. »Hierher? Aber ich …« Er lässt seinen Blick durch das Zimmer gleiten. »Doch, natürlich. In zwei Minuten. Ich freu mich!« Damit beendet er das Gespräch und steht eine Sekunde lang wie erstarrt. »Ja!!!«, brüllt er dann so laut, dass ich einen entsetzten Hüpfer mache. Dann sieht er an sich herunter und stöhnt.
»Oh nein!« Damit wirft er mir sein Telefon in den Schoß.
»He«, rufe ich empört, und als ich aufblicke, steht er schon splitterfasernackt vor mir, zieht gerade noch sein fleckiges T-Shirt über den Kopf. »Also bitte.« Ich wende den Blick ab, während er hastig in dem Klamottenberg nach etwas Sauberem zum Anziehen sucht. Dann sammelt er hektisch die Schlaftabletten vom Boden auf, wirft die unzähligen Pizzakartons kurz entschlossen in die Küche und schließt die Türe. Dingdong erklingt da die Türklingel und Andreas blickt panisch um sich. Er
hat Recht, besonders gut sieht es hier immer noch nicht aus.
»Vielleicht könntest du ein Fenster öffnen?«, schlage ich freundlich vor, da hechtet er auch schon los, um genau das zu tun. Ich bilde mir aber nicht ein, dass er mich gehört hat. Gemeinsam gehen wir zur Wohnungstür, Andreas drückt auf den Knopf der Gegensprechanlage.
»Wer ist da?«
»Willst du mich verarschen?«, ertönt eine raue weibliche Stimme aus dem Lautsprecher.
»Das ist ja vielleicht eine Ausdrucksweise«, sage ich kritisch, »und du bist sicher, dass du sie zurückhaben willst?« Doch Andreas kichert vergnügt vor sich hin und drückt den Türöffner.
»Verdammte Scheiße«, brüllt er dann unvermittelt und rennt ins Schlafzimmer, wo er sich auf einen Stuhl stellt und das Poster von Gina von der Decke reißt. Nachdem er es unter seiner Schmutzwäsche versteckt hat, öffnet er mit Schwung die Tür. Neugierig lehne ich mich über das Treppengeländer und sehe auf Ginas wasserstoffblonden Schopf mit dem schwarzen Ansatz am Scheitel hinunter. Sekunden später steht sie vor uns. Kaugummikauend, im Batik-T-Shirt, schwarzem Minirock und derben Stiefeln.
»Hallo, Gina«, sagt Andreas verzückt.
»Hey.« Ein wenig unentschlossen stehen sie voreinander, als eine weitere Frau die Treppe hochkommt. Eine Frau mit dunklen Haaren, zierlichem Körperbau und durchdringend hellblauen Augen. Sie stößt einen überraschten Laut aus und ruft: »Lena! Was machst du denn hier?«
»Genau dasselbe könnte ich dich auch fragen«, sage ich, nachdem ich mich von dem Schrecken erholt habe, ausgerechnet meiner Großmutter hier in diesem düsteren Treppenhaus zu begegnen. »Und noch mehr würde mich interessieren, was die da eigentlich hier zu suchen hat«, fahre ich mit einer Kopfbewegung in Ginas Richtung fort, die immer noch dasteht wie bestellt und nicht abgeholt.
»Ach ja, gut, dass du es sagst!« Damit stellt Liesel sich hinter sie und schmiegt sich an ihren Rücken. Ihr Gesicht nimmt einen konzentrierten Ausdruck an.
»Was machst du denn da?«, frage ich verwundert, als sich Gina im Zeitlupentempo auf Andreas zubewegt, der sie so hoffnungsvoll und unterwürfig ansieht, dass ich ihm am liebsten einen Stoß in die Rippen versetzen würde.
»Hab doch ein bisschen mehr Selbstachtung«, zischele ich ihm zu, »das macht sie noch nicht einmal aus freien Stücken.«
»Halt die Klappe, es ist Gottes Wille«, sagt Liesel zu mir, während sie Gina weiter anschiebt.
»Gottes Wille«, rufe ich ungläubig aus. »Da irrst du dich aber … Moment mal«, unterbreche ich mich selbst und sehe sie misstrauisch an, »sag bloß, es ist deine Schuld, dass … Hast du Gina gezwungen, seinen Anruf anzunehmen?«
»Gezwungen? Nein!«, wehrt Liesel ab.
»Damit hattest du nichts zu tun?«
»Doch, schon, aber …«
»Was fällt dir eigentlich ein, dich in meinen Auftrag einzumischen?«, frage ich wütend. »Lass sie sofort los!«
»Ich denke ja gar nicht daran. Und was heißt bitte schön ›dein Auftrag‹? Das hier ist mein Auftrag!«
»Du sollst damit aufhören«, rufe ich, jetzt schon leicht panisch,
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