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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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sehe ihr schon an, wie entschlossen sie ist. Nichts zu machen. Ich beuge mich vor, vergrabe mein Gesicht in dem T-Shirt und hänge noch einen Augenblick der Erinnerung nach. Rae küsst mich auf die Haare und umarmt mich kurz.
    »Ich hab dich lieb«, sage ich, erwidere ihren Kuss und mache die Deckenlampe aus.
    Sie dreht mir den Rücken zu und ist schon eingeschlafen, bevor ich aus dem Zimmer bin.
     
    Die Samstagabende sind am schlimmsten.
    Früher einmal, vor Raes Zeiten, hatten wir uns auf den Samstagabend immer gefreut, nachdem wir uns nach der langen Arbeitswoche den ganzen Tag ausgeschlafen hatten. Wie Vampire tauchten Tom und ich, wenn es dunkel wurde, aus dem Wirrwarr warmer Leintücher, Zeitungen und Beine auf, um uns nach Islington, Soho oder Camden aufzumachen, je nachdem, wessen Freunde wohin gingen. Tom brauchte nur ein paar Stunden. Sein Energiepegel, der ihn auch die anstrengendsten der wochenlangen Aufnahmen überstehen ließ, schoss wieder in die Höhe, wenn er mich und alle anderen in eine lange Nacht lockte, die genauso gut in einem Club in Camberwell wie am Strand von Brighton enden konnte. Bei Tom wusste man das nie. Man wusste nur, dass die Woche damit zu Ende war. Zu Ende und vorbei, gefeiert, mit Alkohol begossen, durch Witze entschärft, beschimpft und dann mit einem Gelächter erledigt – nun war er für einen neuen Montagmorgen bereit.
    Jetzt fürchte ich mich vor den Samstagabenden. Habe richtig Angst vor ihnen.
    Ich sehe aus dem Fenster. Nichts in der Churchill Road lässt ahnen, dass heute ein anderer Abend ist als Freitag – oder auch Montag. Ich weiß es lediglich. Ich weiß, dass hinter diesen Vorhängen Schulter an Schulter, Schenkel an Schenkel Paare sitzen, DVD s gucken und an ihren Weingläsern nippen. Andere sind schon zu einem Abend mit Freunden unterwegs, in einer Stadt, die ich immer geliebt habe, aber inzwischen nicht mehr kenne.
    Als Rae einmal an einem Wochenende bei Tom war, habe ich in meiner Verzweiflung Suzy vorgeschlagen, am Samstagabend nach Soho zu fahren und in eine Bar zu gehen. Aber sie sagte, sie könne Jez mit den Kindern nicht allein lassen, und einer fremden Babysitterin wolle sie die Kinder auch nicht anvertrauen. Also sind wir nie ausgegangen.
    Ich laufe ungeduldig in der Wohnung herum.
    Wo bleibt Suzy denn? Sie wollte um neun rüberkommen, und jetzt ist es zwanzig vor zehn.
    Die ganze Woche lang war meine größte Angst, wie Suzy auf meine Pläne reagieren würde. Denn sie würde es genauso sehen wie ich selbst: dass ich sie schnöde im Stich lasse. Ich habe nie von ihr erwartet, dass sie den Eltern, die mich in der Schule links liegenlassen, ebenfalls die kalte Schulter zeigt. Doch sie hat es getan. Und nun gibt es meinetwegen in dieser einsamen Ecke der Stadt niemanden, mit dem sie an den endlos langen Wochentagen skaten, schwimmen gehen oder sich zum Kaffeetrinken treffen kann.
    Das Schlimme ist, dass ich genau weiß, wie man sich dabei fühlt.
    Suzy hat mir einmal erzählt, Jez habe kurz nach dem Umzug geäußert, es sei womöglich ein Fehler gewesen, den Sitz seiner Beratungsfirma zurück nach London zu verlegen. Damals musste ich mit Rae alle paar Wochen in die Klinik, zur Kontrolle nach ihrer großen Herz- OP vor der Einschulung. Als mir bewusst wurde, dass ich mich vom scharfen Krankenhausgeruch vielleicht bald nicht mehr in Suzys herzliche Umarmung würde flüchten können, hatte ich in der nächsten Nacht einen Angsttraum. Ich träumte, meine neue Freundin von gegenüber, die ich so verzweifelt brauchte, sei weggezogen, und in dem Haus sei nun ein Fisch-Imbiss.
    Ich schaue wieder auf die Uhr. 21 : 41  Uhr. Wo steckt sie denn? Ich stelle das Weinglas ab und gehe in mein Zimmer, um meinen Schrank nach etwas Tragbarem für Montag zu durchsuchen – wohl vergeblich. Mit Bedauern erinnere ich mich an den Nachmittag vor vielen Jahren, als ich meinen Schrank radikal ausgemistet habe, nachdem Guy mir mitgeteilt hatte, er könne meinen Mutterschaftsurlaub nicht endlos verlängern. Garderobemäßige Selbstvernichtung konnte man das nennen. Ich legte meine sorgfältig zusammengekauften Arbeitsklamotten mit Tränen in den Augen aufs Bett, um sie bei eBay zu verscherbeln, und danach blieben nur noch Stapel von T-Shirts, Jeans, Pullis und ein wattierter Mantel übrig. Nichts, was in einem Sound-Design-Studio Gnade fände, wo der schöne Schein alles ist. Allerdings super spielplatztauglich.
    Schnell rechne ich nach, wie viel Geld mir Dad für Raes

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