Allein die Angst
vielen Monaten, in denen er sich abgerackert hatte, um den Vertrag mit den Kanadiern an Land zu ziehen, war er vielleicht einfach gestresst gewesen, und vielleicht hatte er gestern Abend Dampf ablassen können, als er mit Don Berry alles besprach?
Suzy ging zum Küchenbereich hinüber und setzte Kaffee auf, damit sie nach der mittags geleerten Flasche Wein wieder nüchtern wurden. Ihr Blick fiel auf den Kalender. Sie zählte die Tage seit Anfang Juni. Zehn, elf … Wahrscheinlich begann gerade ihr Eisprung.
Sie machte den Kühlschrank auf – plötzlich erregte sie die Aussicht auf den Abend. Im oberen Kühlschrankfach drängte sich Spargel neben Erdbeeren. Auf dem Rost darunter lagen zwei Steaks und zwei Flaschen Weißwein. Gut.
Sie brauchte nur die Kinder früh ins Bett zu bringen, ein Bad einzulassen …
Jez schlenderte in die Küche, den Kopf zu Henry zurückgewandt, der von oben etwas herunterrief. Suzy warf einen kurzen Blick in sein Gesicht und ging den Kaffee in eine Kanne umfüllen.
Moment mal. Was war denn das?
Sie riskierte einen zweiten Blick.
Jez drehte den Kopf nach oben, als er Henry antwortete; der hatte etwas über Planeten gefragt. Da. Da war’s. Wo sich seine Wange immer gehöhlt hatte, waren die Konturen von einer neuen Schicht Fleisch gepolstert.
Hatte er im Gesicht zugenommen? Wann war denn das passiert?
Rasch suchte Suzy seinen Körper nach weiteren Hinweisen ab und blieb an seinem Bauch hängen. Jez war schon immer von wuchtiger Statur gewesen, aber auch hier hatte sich etwas verändert. Sein Hemd schob sich ein wenig aus dem Sakko vor.
Suzy betrachtete ihn staunend. Wieso war ihr das nicht schon früher aufgefallen? Vielleicht nicht ganz überraschend: Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihren Mann das letzte Mal nackt gesehen hatte.
Als er sich umdrehte und auf sie zuging, sah sie es noch deutlicher. Da. Unter seinem Kinn. Eine leichte Wölbung. Er wirkte damit irgendwie älter, verletzlicher.
Suzy fand die Vorstellung, dass Jez alt wurde, tröstlich. Ein alter Jez würde sie brauchen.
»Hey, Honey«, sagte sie mit ihrer sanftesten Stimme. »Komm her – bitte.«
Jez legte sein Handy weg und kam nach einem flüchtigen Blick auf die beiden Jungen zu ihr herüber.
»Was denn?«, murmelte er.
Sie streckte die Arme aus und legte sie ihm um den Nacken. Als sie ihn jetzt leicht an sich zog, spürte sie keine Spannung mehr. Nur die samtige Wärme seines Halses an dem ihren. Als seine Haut die ihre berührte, erschauerte sie bei der Vorstellung, was später vielleicht geschähe. Unwillkürlich bog sich ihr Körper dem seinen entgegen.
»Worauf hättest du heute Abend denn Lust?«, flüsterte sie.
»Das war Don«, murmelte Jez ihr ins Ohr. »Sein Boss bei der Bank gibt heute Abend in Hertfordshire eine Party. Er meint, ich könnte da ein paar neue Kontakte knüpfen. Der Typ hat uns eingeladen, bei ihm zu übernachten und morgen Golf zu spielen.«
An Jez geschmiegt, gestand sich Suzy endlich ein, dass unter seiner Haut die altbekannte Härte in den Muskeln lauerte. Diese Spannung hatte sich nie gelöst. Nach dem Wein war Jez nur nicht mehr so entschlossen, sie wegzustoßen, sondern stand geduldig da und wartete, dass sie ihn von selbst aus ihrer Umarmung entließ. Damit er wieder gehen konnte.
Nicht sie hatte er zum Essen ausgeführt. Sondern die Jungs.
»Okay, Honey«, sagte sie und senkte den Blick. »Wenn du meinst, dass das nützlich ist. Kannst du den Kaffee eingießen? Ich muss mal schnell ins Bad.«
Blind und mit brennenden Wangen lief sie die Treppe hoch ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
Sie setzte sich aufs Bett – das Bett, in dem sie letzte Nacht allein geschlafen hatte, während Jez betrunken auf dem Sofa lag. Ihr Mann rollte sich nicht in Fötushaltung zusammen, nein. Als sie ihn heute früh fand, lag er schnarchend auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet wie ein König.
Sei stark, redete sie sich zu. Sei stark. Gib ihm keinen Vorwand, mach ihm den Absprung nicht zu leicht.
Die Zeit lief aus. Erst musste sie dafür sorgen, dass es Nora geben würde. Mit Noras Hilfe würde alles gut werden. Eine Tochter würde ihn milder stimmen. Ein süßes, kleines Mädchen würde den Panzer knacken.
Bis dahin musste sie sich auf das Schlimmste vorbereiten. Jez’ Vater hatte sie schon angesehen, als wäre sie ein stinkendes Stück Dreck. Sie konnte sich gut vorstellen, wie er seine alten Schulfreunde im Club aufhetzte, damit sie Suzy vor dem
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