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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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zurück. Callie. Lieber Gott, nein. Callie.
    Der Gedanke an die leeren Tage und ebenso leeren Abende, die nun auf sie zukamen, war mehr, als sie im Moment ertragen konnte. Sie schämte sich, dass sie Henry bis neun Uhr wachgehalten hatte, nur damit ihr ein weiterer einsamer Abend erspart blieb; dafür hatte sie den Tobsuchtsanfall riskiert, der stets drohte, wenn Henry übermüdet war.
    Wie lange hatte Callie das geplant? Suzy ging in Gedanken die letzten paar Monate durch. Natürlich hatte sie Callies Unruhe bemerkt, als Rae letzten September in die Schule kam. Deshalb hatte Suzy so viele gemeinsame Unternehmungen organisiert. Und wenn Callie besorgt oder bedrückt wirkte, hatte sie alles getan, was eine gute Freundin tun kann – hatte zugehört, hatte Callie in die Arme genommen, hatte sie zum Lachen gebracht. Einmal, ein einziges Mal nur hätte sie Callie fast ihre Eheprobleme gestanden, als Sasha auf Jez’ Geschäftshandy angerufen und eine laszive Nachricht hinterlassen hatte. Aber sie las in Callies Augen, dass ihre Freundin keine weitere Last mehr tragen konnte. Suzy wusste intuitiv, dass Callie bei ihr Kraft und Stärke suchte. Was war schiefgelaufen?
    Leise stöhnte sie vor sich hin. Zu allem, was Jez ihr lieferte, jetzt auch noch das.
    Ihr Mann, das unergründliche Rätsel. Die vierte Nacht hintereinander blieb er fort.
    Ihr Handy piepte. Sie holte es heraus. Eine SMS von Vondra; sie hatte Suzys Nachricht abgehört und würde um zehn zurückrufen.
    Sie seufzte. Jetzt war es also so weit.
    Vondra hatte ihr viele Fragen über ihre Beziehung mit Jez gestellt. Hatte alles wieder aufgewühlt.
    »War er schon so, als Sie ihn geheiratet haben?«, hatte sie behutsam nachgebohrt. Sie saßen in einem Arbeitercafé in Kings Cross; Vondra blickte Suzy über den Rand ihrer Teetasse mitleidig an.
    »Ja«, musste Suzy zugeben. Alle Anzeichen waren so offensichtlich vorhanden gewesen, dass Suzy sie nicht einmal vor sich selbst verleugnen konnte. Die Eltern, britische Diplomaten, die alle paar Jahre woandershin zogen, von Syrien über Malawi nach Taiwan, und Jez im Alter von sieben Jahren ins Internat steckten. Die brutalen, auf Urinstinkte abzielenden Abenteuer, die er in dieser Schule bestehen musste; er erzählte ihr davon in Colorado, in den ersten Monaten ihrer Beziehung, wenn sie in seinen Armen lag. Wie sie mitten in der Nacht im Schulwald ein Feuer anzündeten. Wie er kopfüber, an den Beinen, aus dem Schlafsaalfenster gehängt wurde und anderen dasselbe antat. Wie Jungs in Kisten gesteckt und auf Regale hochgewuchtet wurden, weil sie sich benommen hatten wie »verdammte Mädchen«. Und dieses Ritual, vor Wettkämpfen in seltsamen Teamsportarten, von denen Suzy nie gehört hatte, im Sprechchor Schlachtlieder zu grölen. All das schien so exotisch, so exzentrisch, so englisch.
    Welchen Fehler sie gemacht hatte, erkannte Suzy erst, als sie schließlich nach England kamen. Sie sah es daran, wie höflich und vorsichtig Jez mit seinen Eltern sprach, die seiner neuen, um Warmherzigkeit bemühten amerikanischen Ehefrau mit kaum verhohlener Abneigung begegneten, hatte Suzy ihren Sohn doch einem Mädchen aus guter, alteingesessener Familie ausgespannt, einem Mädchen, das Arabella hieß oder Belinda. Und sie sah es an den alten Schul- und Studienfreunden, die mit Jez in einem knappen, hochnäsigen, geheimen, mit bösartigen Insiderwitzen gespickten Code kommunizierten. Jez, begriff sie plötzlich, ließ bei niemandem Nähe zu. Wie sonst hätte er drei Monate in Denver, dann in Melbourne, dann in Hongkong leben und arbeiten können? Nein. Da gab es nichts zu beschönigen. Alles lag von Anfang an auf der Hand. Sie hatte es nur nicht sehen wollen.
    Der Druck in ihrer Brust wurde so beklemmend, dass sie aufstehen musste, um noch Luft zu bekommen. Bevor sie sich bremsen konnte, war sie schon auf dem Weg ins Bad und zog die Tür des Schränkchens auf. Die Rasierklingen, die Jez außerhalb Henrys Reichweite auf dem obersten Regal aufbewahrte, lagen unschuldig in ihrem Schächtelchen. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie auf den Innenseiten ihrer Schenkel schon den scharfen Schnitt spüren, und die Erleichterung, wenn der Druck durch den Schlitz abfließen würde.
    »Verdammt«, sagte sie.
    Ein lautes Piepen durchbrach die Stille im Bad. Suzy spürte ihr Handy in ihrer Jeans vibrieren und zog es heraus. Auf dem Display stand statt der Empfängernummer »unbekannt«.
    »Hallo?«, meldete sie sich leise.
    »Hi, Suzy? Hier ist

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