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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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Streifen Versickerten.
    Debs ließ die Beine baumeln und stieß gegen einen lila Karton, der »Diverses« enthielt. Hier drinnen konnte sie das Geschrei der Kinder von nebenan kaum hören. Hier ließ es sich aushalten. Hier würde sie einfach bleiben, bis es wieder still wäre. Ihr Blick wanderte über die grüngestreifte Tapete. Vielleicht könnten sie das Zimmer noch neu tapezieren, bevor Alison über Weihnachten käme. Falls ihre Schwester die Einladung tatsächlich annahm.
    Oder vielleicht würde letztendlich Allen hier hineinziehen. Debs sah sich um. Irgendwann hätte er es bestimmt satt, jeden Abend zu ihr ins Bett zu steigen und so zu tun, als benähmen sie sich wie ein ganz normales Ehepaar. Eines Abends, das wusste Debs, würde er wie üblich im Schlafanzug aus dem Bad ins Schlafzimmer kommen und »Gute Nacht, Schatz« sagen, aber statt sich ins Bett zu legen und ihr zartfühlend den Rücken zuzudrehen, würde er höflich wieder hinausgehen und durch die Tür dieses Zimmers verschwinden.
    Bei diesen Gedanken hatte sie wieder einen Flashback, wie sie ihn schon so gut kannte.
    »O nein!«, stöhnte sie und schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen zu verscheuchen.
    Aber es nutzte nichts. Die Bilder waren da. Sie und Allen gingen, ein wenig beschwipst vom Wein, in ihrem Hotel die Treppe hoch. Allen war nervös, gleichzeitig hielt er sich vor Entschlossenheit kerzengerade; und dann …
    Ein plötzliches Geräusch ließ Debs hochschrecken.
    Sie erhob sich und sah sich in dem kleinen Zimmer um. Ein raues Sirren, das aus der Ferne kam und von Sekunde zu Sekunde lauter wurde wie ein Skateboard, das eine grob asphaltierte Straße herunterrollt.
    Das Sirren schwoll zu einem ungeheuren Dröhnen an und donnerte über ihren Kopf hinweg.
    »Um Himmels willen«, murmelte sie und ging zum Fenster hinüber. Das dumpfe und zugleich schrille Getöse direkt über ihr klang, als wäre aus dem Nichts ein Flugzeug erschienen und beinahe auf ihrem Dach gelandet.
    Als sie aus dem Fenster über die Dächer der Reihenhäuser zu dem hohen Sendemast auf dem Alexandra Palace hinüberblickte, wollte sie ihren Augen nicht trauen. Ein zweites Flugzeug hielt in ein, zwei Kilometern Entfernung direkt auf ihr Haus zu.
    Da fing auch der Lärm wieder an. Ein gedehntes Sirren, das immer lauter wurde, als sich der Flieger im Sinkflug näherte, mit Kurs auf die Churchill Road; das Pfeifen wuchs sich zu einem ohrenbetäubenden Donnern aus, als er über ihren Kopf hinwegflog.
    »Allen!«, rief sie und rannte ins Wohnzimmer hinunter. »Da fliegen Flugzeuge, direkt über unser Haus – hast du den Krach gehört?«
    Er blickte über den Rand seiner Brille und runzelte die Stirn.
    »Hm, ich bin nicht sicher, Schatz. Flugzeuge gibt es in London doch überall.«
    »Ich weiß, aber diese beiden waren …« Während sie redete, begann das Sirren aufs Neue – ein drittes Flugzeug war im Anflug. »Da!«, rief Debs aufgeregt. So taub, dass er das nicht hörte, konnte er doch nicht sein, oder?
    Aber Allen zuckte nur mit den Achseln. »Nicht schlimmer als in King’s Cross. Also wirklich, Debs. Du bist heute das reinste Nervenbündel.«
    Pah! Das war ja lächerlich!
    Debs verließ das Wohnzimmer wieder und ging zur Haustür; im letzten Moment erinnerte sie sich an die zerkleinerten Kartons, die sie in der Diele gestapelt hatten, nahm sie mit hinaus und stopfte sie in die Recyclingkiste. Dann drückte sie den schwarzen Deckel wieder fest zu, stand auf und hob den Kopf. Ein Jumbo glitt über sie hinweg, mit einem Höllengetöse, als ließe der Pilot die Triebwerke extralaut für sie aufheulen.
    Wo kamen auf einmal diese Dinger her? Sie hatte kein einziges Flugzeug gehört, seit sie am Freitag hier eingezogen waren.
    Sie schloss die Haustür, ging rasch in die Küche und wühlte in der Kiefernholzanrichte, die die Hendersons hinterlassen hatten, bis sie das Telefonbuch fand. Damit marschierte sie in die Diele und griff zum Hörer.
    »Da stimmt was nicht, Allen. Wirklich. Da muss was passiert sein«, rief sie durch die offene Wohnzimmertür.
    Es dauerte eine Minute, bis sie die Nummer gefunden hatte, dann weitere fünf weitere Minuten, bis jemand ihren Anruf entgegennahm, nach einem langen Irrlauf durch automatische Ansagedienste, die sie über die Flugankunft und über Parkmöglichkeiten informieren wollten. Ihr eigenes Anliegen schien in keine Schublade zu passen, deshalb musste sie immer wieder die Taste für »sonstige Fragen« drücken, bis sich

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