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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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merken, was ich für eine taube Nuss bin, die nichts zu bieten hat. Aufgezehrt von sich selbst. Unfähig zu einer normalen Beziehung, die mir nicht einmal mit meiner sogenannten besten Freundin gelingt.
    Lange habe ich getan, als wäre es in Ordnung, dass ich mich so sehr auf Suzy stütze und sie in dem Glauben lasse, wir seien uns nahe. Aber wenn die Nacht am schwärzesten ist, weiß ich, dass es keineswegs in Ordnung ist. Unsere Freundschaft gründet sich nicht auf Sympathie, sondern auf Bedürftigkeit. Eine Amerikanerin, fremd in London, und eine einsame alleinerziehende Mutter haben sich zusammengetan. Es ist schäbig von mir, mich so sehr auf Suzys Hilfe zu verlassen, wenn ich nicht ehrlich bekenne, wer ich wirklich bin, wenn die Wahrheit wie ein Monster in einer dunklen Ecke lauert. Aber ich lasse die Dinge schleifen, weil ich Suzy brauche. Ohne sie kann ich nicht überleben. Noch nicht.
    Das Ganze wird noch schlimmer, weil Suzy anscheinend nicht die leiseste Ahnung hat. Unserer Freundschaft fehlt Entscheidendes, aber Suzy scheint es nicht zu bemerken, sondern wirkt mit der Situation zufrieden.
    Ja. So manche Nacht habe ich wegen Suzy große Schuldgefühle.
    Ich betrachte mich noch einmal im Spiegel.
    Rae hat recht. Dieses Kleid, das in allen Farben schillert, hat etwas Besonderes. Es bringt mich zum Leuchten. Lädt mich auf. Gibt mir die Kraft, nach fünf Jahren schließlich in die Welt da draußen zurückzukehren.
    Das habe ich bitter nötig. Ich muss in mein Tonstudio zurück. Unbedingt. Damit ich alles wieder in Ordnung bringen kann.
    Ich habe ein so bohrendes Gefühl im Magen, dass ich aufstehe und mir etwas zu essen hole.

Kapitel 12 Debs
    Die Kinder waren nun schon seit einer Stunde am Kreischen.
    Debs sah auf die Oma-Uhr in der Diele. Fast sieben. Wann gingen diese Jungs am Sonntagabend denn ins Bett? Hatten die morgen keine Schule?
    »Will nich Haarewaschen!«, hörte sie den Älteren brüllen. Dann stieß er einen langen, markerschütternden Schrei aus, als würde er gefoltert.
    »Jetzt halt schon still, Honey!«, rief die Amerikanerin. »Wir sind fast fertig.«
    Wie es sich anhörte, bekamen sie alle den Kopf gewaschen. Wenn der eine nicht kreischte, dann der andere.
    Debs war im ganzen Haus herumgelaufen, um dem Geplärr zu entgehen. Allen schien nichts zu bemerken; er saß im Wohnzimmer an seinem Kreuzworträtsel.
    »Du meine Güte, diese kleinen Jungs lassen sich die Haare aber nicht gern waschen, was?«, rief sie fröhlich, jedoch mit einem scharfen Blick auf Allen.
    »Hmm«, machte er. »Wie bitte?«
    »Die kleinen Jungs nebenan. Die schreien wie am Spieß, weil sie die Haare gewaschen kriegen.«
    »Tatsächlich?« Allen wandte sich wieder seiner Zeitung zu. »Du weißt doch, Schatz, dass ich ein bisschen schwerhörig bin.«
    Resigniert wandte sie sich ab. Wie konnte er das überhören? Das schrille Geschrei bohrte sich durch die Dielenwand, oben wie unten, als wäre ein Kind im ersten Stock und die anderen im Erdgeschoss. Debs ging die Treppe hoch und suchte zuerst Ruhe im Schlafzimmer, das nach vorn hinausging. Dort war es genauso schlimm. Eines der Kinder war anscheinend im Zimmer direkt nebenan, ein Föhn heulte.
    Das Gästezimmer. Dort war es vielleicht am besten. Es hatte keine gemeinsame Wand mit dem Haus der Amerikanerin und lag am weitesten von ihrem Bad entfernt.
    Debs hatte sich in diesem Zimmer noch nicht viel aufgehalten. Es war lang und schmal, das Schiebefenster ging auf den Garten mit dem kleinen Rasen und dem Schuppen hinaus. An der Decke hing eine nackte Glühbirne. Man spürte, dass der Raum nie viel benutzt worden war. Die Kinder der Vorbesitzer hatten das Haus schon vor langem verlassen, um zu heiraten; danach hatte das Zimmer wohl auch den Hendersons nur noch als Gästezimmer gedient.
    Debs setzte sich auf das alte Eichenbett, das sie von Allens Mutter mitgenommen hatten; gegenüber stand, dazu passend, ein schmaler Schrank. Die neue Matratze, noch im Plastiküberzug, fiepte unter Debs’ Gewicht leise auf. Eins der wenigen Dinge, die zu behalten sich Debs geweigert hatte, war die Matratze gewesen, auf der Allens Mutter zwanzig Jahre lang gelegen hatte, von wo aus sie ihren stets klaglosen Sohn auf Zuruf hatte springen, sich von ihm dies und jenes hatte bringen lassen. Allen hatte gegen die Entsorgung der alten Matratze nichts einzuwenden und beförderte sie in Debs’ Auto zum Sperrmüll; beide wandten den Blick stumm von den gelblichen Flecken ab, dem zwischen den blassen

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