Allein die Angst
so weit zu kippen, dass sie vom Plattenweg in ein Blumenbeet hinunterrutschte und der Boden frei lag.
Sie kauerte sich nieder und versuchte, den Rest der Botschaft zu entziffern.
Die Worte waren mit dunkelgrüner Kreide geschrieben, in fetten Großbuchstaben und so säuberlich, dass die Nachricht noch infamer wirkte, als sie ohnehin schon war.
WENN DU NOCH EINMAL UNSERE KINDER ANFASST , DANN SCHLAG ICH DIR DIE FRESSE EIN , DASS DIR DIE ZÄHNE HINTEN WIEDER RAUSKOMMEN .
»Huch!«, entfuhr es Debs; sie sprang hoch wie von der Tarantel gestochen. Verzweifelt blickte sie sich um und spähte um die Hecke zur Straße hinaus.
Der Junge auf dem Fahrrad. Er musste ihr gefolgt sein. Belauerte er sie vielleicht gerade?
Debs schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte verzweifelt den Kopf. Sie hatte recht gehabt. Die Poplars hatten sie gefunden.
Die gaben nicht auf.
Zehn Minuten später zitterten ihr die Hände immer noch. Wie ferngesteuert ging sie durch die Küche und versuchte die Bildsplitter von gestern Abend, die ihr durch den Kopf wirbelten, zusammenzusetzen. Wie hatte der Junge ausgesehen? War er der Bruder?
Ihre Erinnerungen kehrten in wahlloser Folge zurück. Ein metallisches Klicken – vielleicht die Gangschaltung des Fahrrads? Dann der Gummireifen, der über die nasse Fahrbahn schmierte. Das Gefühl von etwas Bedrohlichem, das sich von hinten näherte, sie aber nicht überholte.
Sie hatte sich umgedreht. Das wusste sie noch. Aber dann verwischten die Eindrücke. Sie konnte sich nur noch an die Gestalt eines Jungen erinnern, doch sein Gesicht blieb eine nebelgraue Fläche. Sie hatte diesen wahnsinnigen Drang gehabt, die Hand zu heben.
Und dann lag Rae mitten auf der Straße.
O Gott. Was war passiert?
Debs umklammerte ihren Teebecher und setzte sich an den Tisch. Wie hatten die Poplars sie aufgespürt?
Ihr wurde eiskalt; sie zog den Morgenmantel enger um sich. Allen hatte ihr gestern Abend eine Schlaftablette aufgenötigt, nachdem sie ihm erzählt hatte, was geschehen war. Dann war er zu den Nachbarn hinübergegangen, um sich zu erkundigen, was sich eigentlich abgespielt hatte; er hatte mit Jez an der Haustür gesprochen.
»Sie hat sich am Bein verletzt, aber es geht ihr gut«, sagte Allen bei seiner Rückkehr. Er setzte sich neben Debs und legte ihr die Hand auf den Arm. »Anscheinend hat sie ein schlechtes Koordinationsvermögen. Sie wird zur Vorsicht über Nacht in der Klinik behalten. Mach dir bitte nicht zu viele Sorgen, Schatz; warten wir ab, was es morgen Neues gibt, ja?«
»Hmmm«, hatte sie gemurmelt.
Seine Stimme hatte ruhig und beherrscht geklungen, aber sie wusste, dass er mit seiner Geduld langsam am Ende war. Das konnte sie ihm nicht verübeln.
Deshalb rief sie ihn heute nicht an, und wenn ihr Bedürfnis danach noch so groß war. Stattdessen wählte sie eine andere Nummer, zweifelte aber gleich, ob sie sich an die richtige Person gewandt hatte.
»Payroll«, meldete sich eine laute Stimme.
»Alison, ich bin’s.« Debs wusste schon, dass ihre Schwester sofort einen anderen Ton anschlagen würde.
»Ach, hallo«, sagte Alison lahm. »Was gibt’s?«
»Äh …«
»Ich habe gleich einen Termin beim Leiter der Finanzabteilung. Mach’s kurz.«
Es war immer so, dass Alison in den nächsten Minuten etwas Wichtiges zu tun hatte.
»Ich werde wieder schikaniert«, sagte Debs.
»Was war los?«, fragte Alison nach einer kurzen Pause.
»Ich glaube, einer von den Poplars wollte mich gestern Abend auf der Straße erschrecken. Der Bruder. Er hat sich von hinten auf dem Fahrrad an mich rangemacht. Und ich glaube, er hat unsere Recyclingkiste mit Steinen gefüllt. Und eine sehr böse Drohung hinterlassen.«
Eine Weile kam von Alison gar nichts.
»Was sagt Allen dazu?«, fragte sie schließlich.
Debs presste die Zähne zusammen. Wie schnell ihre Schwester immer zum wunden Punkt vorstieß.
»Ich hab’s ihm noch nicht erzählt.«
Alison schwieg wieder, als sie die Schwachstelle sah, auf die sie gewartet hatte.
»Ach so«, erwiderte sie nach einer Weile. »Dann bin also ich wieder mal die Doofe, die herhalten muss!«
Debs biss sich auf die Zunge.
»Hör mal, ich wollte nur Bescheid sagen. Keine Angst. Ich – ich ruf die Polizei schon selber an, wenn es sein muss.«
»Das solltest du lieber deinem Mann überlassen.« Alison klang ziemlich höhnisch.
»Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte Debs. Aber sie konnte es sich nicht verkneifen, hinzuzufügen: »Ich koche heute Abend was
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