Allein die Angst
Sie das Kind an der Straße stets bei der Hand nehmen müssen.«
Was sagte er da? Debs sah Allen kopfschüttelnd an.
»Wirklich? Ich weiß, dass die Mutter Angst um Raes Gesundheit hat – das wissen alle Betreuerinnen im Hort –, aber ich erinnere mich nicht, dass mir jemals gesagt wurde, ich solle sie bei der Hand nehmen.« Ihr wurde eng um die Brust; sie krümmte sich, um das Gefühl loszuwerden. »Manchmal gibt es bei mir kurze Aussetzer.«
Der Polizeibeamte sah in seine Aufzeichnungen.
»Sind Sie die ehemalige Deborah Jones, früher wohnhaft in Weir Close, Hackney?«
O nein. Sie wusste, was jetzt kam.
»Ja«, antwortete sie schwach.
»Waren Sie in einen tätlichen Angriff auf ein Kind in der Queenstock Academy verwickelt?«
Debs sah wieder zu Boden. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie sie kaum heben konnte, um ihre Brille zurechtzurücken.
Allen sprang auf. »Ich bitte Sie! Dieser Unfall hat absolut nichts mit jenem Vorfall zu tun«, sagte er verärgert. »Lassen Sie bitte meine Frau in Ruhe; Sie sehen doch, wie verstört sie ist.«
Lass den Deckel zu, schrie Debs sich innerlich zu. Lass den Deckel zu. Aber es gelang ihr nicht. Die Deckel sämtlicher Kisten sprangen auf.
Voll Panik platzte sie heraus: »Also, wenn Sie schon hier sind und von diesem Vorfall mit Daisy Poplar sprechen: Ich glaube, ich werde von ihrer Familie schikaniert. Ich weiß, du magst es nicht, wenn ich davon spreche, Allen, aber gestern Abend. Das Fahrrad. Ich glaube, es war der Junge von den Poplars. Der Bruder. Er hat sich von hinten an mich herangepirscht, um mich einzuschüchtern. Deshalb kann ich mich nicht erinnern, was mit dem kleinen Mädchen passiert ist. Ich hatte Angst. Und ich glaube auch, die Poplars belästigen mich den ganzen Tag mit Telefonanrufen. Und … und … heute früh hat jemand unsere Recyclingkiste mit Steinen gefüllt und eine Nachricht auf den Boden geschrieben. Mit Kreide. Eine fürchterliche Drohung.«
Allen schüttelte den Kopf. »Nicht, Debs. Du musst damit aufhören, Schatz.«
»Aber es stimmt doch, Allen! Du musst mir zuhören. Ich wollte dich nicht damit beunruhigen, aber es geht alles wieder von vorne los. Sie müssen mich gefunden haben …«
Allen sah gequält aus. Und verärgert. »Schatz, bitte behellige die Polizei nicht damit – seit diesem Vorfall in der Schule leidet meine Frau an Angstattacken«, erklärte er dem jungen Beamten. »Sie ist in Therapie.«
Debs starrte ihren Mann wütend an. Wie konnte er nur?
»Ich bilde mir das
nicht
nur ein, Allen!«, rief sie. »Bitte sag das nicht mehr. Wenn du mir nicht glaubst, dann komm und überzeuge dich selbst!«
»Mrs. Ribell«, schaltete sich der junge Beamte mit besorgter Miene ein, »ich muss sagen, ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Familie Poplar Sie belästigt. Laut Aktenvermerk ist die Familie nach dem unliebsamen Aufruhr in der Presse an die spanische Küste übersiedelt. Mrs. Poplar arbeitet dort wohl in einer Bar, die ihrem Bruder gehört.«
Sie starrte ihn wütend an. Warum wollte ihr niemand glauben?
»Wie erklären Sie sich dann das?«, rief sie. Mit energischen Schritten verließ sie das Zimmer und öffnete die Haustür. Allen und der Polizeibeamte folgten ihr nach draußen. Schon als sie den Deckel der Recyclingkiste öffnen wollte, merkte sie, dass etwas anders war. Der Deckel schloss wieder richtig, saß nicht mehr schief wie am Morgen.
Allen und der Polizeibeamte spähten ihr über die Schulter, als sie den Deckel abnahm.
Die Kiste war leer, ein grüner Hohlraum mit schwarzen Schmutzflecken und kleinen Pappestreifchen. Debs deutete hinein.
»Da waren die Steine drin – und sie kamen von dort.« Sie deutete auf den Garten der Nachbarin. Aber statt der schwarzen Erde wie vorhin sah sie, ordentlich aufgereiht, die Riesenkiesel wieder im Boden stecken.
Noch bevor sie nachsah, wusste sie, dass die mit Kreide geschriebene Drohung ebenfalls verschwunden, das dunkelgrüne Pulver sauber weggewischt war.
»Die lagen da drinnen«, sagte sie. »Glaube ich.«
Kapitel 22 Suzy
Suzy nahm den Gang heraus, zog die Handbremse an und stellte den Motor ab. Mit einem ihrer langen Finger drückte sie kurz auf den Knopf, dass sich das Verdeck leise schnurrend schloss, nahm den Sicherheitsgurt ab und lehnte sich zurück. Fünf Minuten. Um sich draußen vor der Klinik zu sammeln, bevor sie hineinging. Die sonst immer so sanfte, lenkbare Callie war gestern ganz schön zickig gewesen. Augen, die Zornesblitze
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