Allein die Angst
sie nicht geschlafen hatte.
»Honey, hör mal. Ich weiß, dass du sauer bist, und ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Aber du musst begreifen, dass ich alles in meiner Macht tun würde, um Rae genauso zu beschützen wie meine eigenen Kinder. Ihr seid mir so nah wie meine eigene Familie. Ich habe die ganze Nacht wach gelegen und mir gewünscht, ich hätte diese Frau nicht gefragt, das kannst du mir glauben! Ich hätte sie auch nicht gefragt, wenn sie keine Lehrerin gewesen wäre. Und entschuldige, Cal, aber du hattest ihr schon mal erlaubt, sich im Hort um Rae besonders zu kümmern. Das war deine eigene Entscheidung. Alles ging so schnell; ich habe nur versucht, das Beste für euch zu tun. Du warst nicht da, und ich musste irgendwie dafür sorgen, dass Rae nach Hause kommt …«
Callie sah sie an, verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Sie ging zur Tür und lehnte sich in den Türrahmen.
»Das weiß ich doch alles …«, flüsterte sie. »Es ist nur so, Suze … mir fällt in meiner Bude die Decke auf den Kopf. Ich werde wahnsinnig da drinnen, du hast keine Ahnung, wie lange schon. Und wenn ich endlich versuche, etwas daran zu ändern – dann passiert so was.
Drei Tage
, nachdem ich wieder arbeite. Und jetzt sind wir wieder in dieser
Scheißklinik
gelandet!«
Suzy vergewisserte sich, dass Callie sah, wie aufmerksam sie ihr zuhörte. Das war jetzt wichtig. »Mach dir keine Vorwürfe, Honey. Mach die Vorwürfe lieber
mir
, weil ich einer Lehrerin vertraut habe. Da zeigt sich mal wieder, dass du deine Kinder niemandem anvertrauen kannst. Ich überlege schon, ob ich nach allem, was passiert ist, Peter und Otto aus dem Kindergarten nehme.«
Sie wartete, wie Callie darauf reagieren würde, aber die sah plötzlich aus wie ausgewechselt. Sie hörte Suzy nicht mehr zu, ihr Blick irrte in den Gang hinaus.
»Na toll. Auch das noch«, sagte sie leise.
Da blickte Suzy in dieselbe Richtung.
Ein großer Mann mit braungebranntem Gesicht und wikingerblonden, kinnlangen, bei jedem Schritt wippenden Locken kam energisch auf sie zu, begleitet von einer hochgewachsenen jungen Frau mit langen schwarzen Haaren. Beide hatten khakifarbene Jacken an und eine Reisetasche über der Schulter.
Tom hatte auf Suzy immer offen und großzügig gewirkt. Aber von diesem ersten Eindruck war er nun weit entfernt. Seine blauen Augen waren nach dem Nachtflug blutunterlaufen vom Schlafmangel und blitzten gefährlich. Callie sank in sich zusammen, als er sich näherte. Suzy stellte sich schützend neben sie.
»Wo ist sie?«, fragte er barsch. Aus der Nähe sah man die blonden Stoppeln an seinem Kinn; er hatte sich noch nicht rasiert. Mit zusammengepresstem Mund deutete Callie auf das Spielzimmer am Ende der Station. Sie verbeißt sich die Tränen, dachte Suzy. Sie hat Angst vor ihm.
»Ich will mit dem Arzt sprechen«, dröhnte er los, als er an Callie vorbeiging. Rae hörte seine Stimme, streckte den Kopf aus dem Spielzimmer und hinkte auf Tom zu. Er beugte sich herunter, und sie schlang heftig die Arme um seinen Hals. Kate strich ihr über den Arm. »Hi, Schätzchen«, sagte sie mit ihrer selbstsicheren, gewandten Stimme.
Callie war Tom in den Gang gefolgt. Sie stand wie festgewurzelt da und starrte auf die Gruppe. So wird es sein, erkannte Suzy, wenn ich meinen Mann mit einer neuen Partnerin sehe – und mit den Kindern. Sie schauderte zusammen und legte den Arm um Callie. Alles Steife von vorhin schmolz dahin, Callie ließ sich an Suzy sinken und von ihr umarmen.
Na, das war doch schon viel besser, dachte Suzy. Sie wusste, dass es noch eine Weile dauern würde. Aber wahre Freundschaft verzeiht.
»Wie er mit dir redet, Honey«, murmelte sie. »Das ist nicht okay. Keine Angst, ich bleibe hier, bis er weg ist. Ich seh mich nur mal nach diesem Polizisten um und hol dir einen Tee.«
Sie verließ Callie und ging in die Cafeteria, wo sie an der Kasse einen Polizeibeamten sah, der nach Zucker suchte.
»Hallo«, sprach sie ihn an, »ich bin Suzy Howard. Die Freundin von Callie Roberts. Sie wollten mit mir sprechen?«
Er sah sie überrascht an. »Ja«, erwiderte er und wies auf einen leeren Tisch. »Ich stelle nur mein Tablett ab und nehme dann Ihre Personalien auf.«
Sie machte die nötigen Angaben und ließ sich dann über ihre Telefongespräche mit Lisa Buck und Debs befragen.
»Dann sind Sie also ganz sicher, dass Sie Mrs. Ribell gesagt haben, sie müsse wegen Raes spezieller Schwäche besonders auf das Kind achtgeben, wenn sie
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