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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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sich nach dem Polizisten um. Im Verkehr öffnete sich eine Lücke von zwei Sekunden, als ein Bus bremste und an einer Haltestelle hielt. Der Polizist ergriff seine Chance und spurtete mit elastischen Schritten über die Straße, als wäre der Asphalt ein Trampolin. Mit fünf großen Sprüngen hatte er die andere Straßenseite erreicht und hielt auf die alte Frau zu.
    Mit einer ungeheuren Anstrengung quetschte sie ihren wabbligen Körper durch die kleine Lücke zwischen ihrem eigenen Auto und dem Wagen davor, zuckte zusammen, als sie an harte Kanten stieß. In ihrer Hand sah Suzy einen Autoschlüssel. Sie scharrte damit am Schloss herum, mit einem Auge nach dem Verkehrspolizisten schielend, der noch etwa zwanzig Schritte von ihr entfernt war.
    Ihr Mund klappte auf wie zu einem Stöhnen. Endlich gelang es ihr, die Tür zu öffnen; wie ein Sack plumpste sie auf den Sitz und zog mit großen, fleischigen Händen ihre Elefantenbeine nach.
    Der Polizist erreichte das Heck ihres Wagens; aufgeregt riss er die Augen auf.
    »Fast geschafft«, flüsterte Suzy.
    Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung schlug die alte Frau die Autotür zu und ließ in dem Moment den Motor an, als der Polizist vom Gehweg heruntersprang und vor ihr Auto laufen wollte, um das Ticket zu kontrollieren. Die alte Frau schaltete den Blinker ein und begann, sich in die Fahrspur einzufädeln, da erreichte er ihre Windschutzscheibe.
    Zu spät. Die Räder rollten bereits.
    Ein weißer Lieferwagen blinkte die alte Frau an und ließ sie einscheren. Der Polizist hob wie salutierend die Hand und verzog den Mund zu einem breiten, blitzenden Lächeln. Diesmal hatte er das Spiel verloren. Aber nächstes Mal würde er sie kriegen.
    Suzy seufzte. Zeit, wieder hineinzugehen und sich mit Callie auseinanderzusetzen.
     
    Callie saß auf einem Stuhl neben Raes Bett und starrte aus dem Fenster. Sie blickte auf.
    Suzy lächelte und hoffte, ihr Lächeln würde erwidert. Sie nahm am Mund ihrer Freundin tatsächlich ein Zucken wahr, wenn auch von unklarer Bedeutung. Immerhin – das war mehr als gestern, als sie Suzy nicht einmal in die Augen sehen wollte.
    »Wo ist Rae?«, fragte Suzy leise und trat vorsichtig herein.
    »Mit einem anderen Kind im Spielzimmer.«
    Suzy beugte sich hinunter und gab Callie ein Küsschen auf die Wange. Callie roch ein bisschen kränklich. Sie hatte immer noch die Kleider von gestern an, die Wimperntusche war unter den Augen verschmiert. Ihre Stirnhaare hatten sich beim Schlafen verlegen und standen in die Höhe.
    Suzy seufzte tief. »Na, das ist doch ein gutes Zeichen.«
    »Sie hat für die Wunde am Bein Antibiotika bekommen«, sagte Callie. »Ihr Herz ist in Ordnung, aber sie wollen sie bis heute Nachmittag hier behalten.«
    »Ich habe übrigens den Klempner reingelassen. Er hat gesagt, dass die Puppe irgendwo stecken geblieben ist und er das Teil ersetzen muss. Er braucht nicht lange.«
    Callie bedankte sich zerstreut. Etwas in ihrem Gesicht befremdete Suzy. Eine gewisse Härte im Kinnbereich.
    »Honey – was ist los?«
    Callie blickte zu ihr hoch. Suzy sah an den Augen ihrer Freundin, wie sie mit sich kämpfte.
    »Suze – ich bin einfach verwirrt. Gerade war ein Polizist wegen Raes Unfall hier. Er hat Debs heute früh befragt. Sie hat zu Protokoll gegeben, du hättest ihr nicht gesagt, dass sie Rae an der Hand halten muss. Sie hat behauptet, niemand hätte sie informiert, dass Rae auf der Straße nicht rennen darf.«
    Suzys Augen wurden weit vor Staunen.
    »Was? Das ist doch die Höhe. Ich habe ihr extra erklärt, dass Rae leicht hinfällt und dass sie dir am Abend vorher davongelaufen ist. Ich schwöre, Cal, dass ich ihr das gesagt habe. Du lieber Himmel. Warum behauptet sie solches Zeug? Frag Ms. Buck. Die muss unser Gespräch mitgehört haben.«
    »Anscheinend nicht – sie wurde schon befragt. Der Polizist ist übrigens in die Cafeteria gegangen, um sich Tee zu holen – kannst du mit ihm sprechen?«
    Suzy legte ihr die Hand auf die Schulter. »Klar, mach ich.«
    Callie entzog sich ihr und stand auf. Sie rieb sich die Augen.
    »Tut mir leid. Ich bin einfach müde. Und diese Klinik! Ich hasse sie. Ich bin so durcheinander. Warum sollte Debs deine Warnung absichtlich ignoriert haben?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ach – ich weiß nicht. Ich wünschte, du hättest sie nicht gebeten, Rae nach Hause zu bringen.«
    Die Anklage hing in der Luft. Suzy wartete. Sie musste Callie sehr vorsichtig behandeln, wie ein rohes Ei. Es war klar, dass

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