Allein die Angst
hängen. Die Haustür fällt ins Schloss, und Tom kommt zurück. Was sind denn das für Zustände?, denkt er. Er sagt es zwar nicht laut, wirft aber mit einer Geste, die Bände spricht, die Hände in die Luft.
»Ach, hör doch auf, Tom!«, platze ich heraus. »Ich weiß. Ich weiß. Ich
weiß
, wie beschissen hier alles ist. Grauenhaft, wie ich lebe – bist du jetzt zufrieden? Das totale Chaos. Eine Rabenmutter, die ihr Kind von Verrückten betreuen lässt. Du hast ganz recht. Ich bin eine schreckliche Person.«
Er dreht sich um und geht zur Tür hinaus. Seufzend warte ich, dass die Haustür wieder zuschlägt.
Stattdessen höre ich, wie er sich leise mit Rae unterhält und für sie eine DVD einlegt. Ich hebe das Leintuch auf, das Debs hat fallen lassen, und beziehe die Matratze, damit ich mich hinlegen kann, schlage die Ecken unter. Da knarzt die Tür, und Tom kommt mit zwei Gläsern Wein herein. Er reicht mir eines und setzt sich auf den Stuhl. Mit seiner großen Hand reibt er sich über das Gesicht und streckt die langen Beine von sich.
»Ist die Toilette repariert?«, fragt er.
»Ja«, antworte ich unsicher und lasse mich auf die Bettkante nieder.
Er nickt.
Ich bemühe mich, ihn nicht anzusehen. Zu schmerzhaft ist die Erinnerung, dass ich früher nach einem schlechten Tag einfach zu ihm hinübergehen, mich auf seine Knie setzen und seine großen, beruhigenden Arme wie Achterbahngurte um mich ziehen konnte – Bauernarme, die mich immer an Dad erinnern.
Er trinkt einen Schluck, dann noch einen.
»Ich weiß, dass du mich hasst, Tom, aber …« Ich sehe ihm ins Gesicht, frage mich, ob ich ihm das sagen kann. »Aber manchmal ist alles so schwer. Weißt du, was? Ich war nicht einmal sicher, ob ich unter normalen Umständen eine gute Mutter sein würde. Und dann kriege ich dieses kranke Kind, und alles andere verschwindet in der Versenkung. Schwupp. Dabei gebe ich mir alle Mühe. Wirklich. Aber wenn ich meine ganze Zeit hier verbringen muss … in diesem Chaos, das ich angerichtet habe … ohne Geld … ohne einen Menschen zu sehen …« Ich habe mich nicht mehr im Griff. Aus dem Nichts steigen Tränen hoch und laufen mir das Gesicht herunter. »Ich versuche doch nur, etwas daran zu ändern.«
Tom schweigt. Ich warte darauf, dass er mir sagt, ich wäre ja selbst an allem schuld, aber das sagt er nicht. Er weicht meinem Blick aus, steht auf und kippt den restlichen Wein hinunter.
»Möchtest du, dass ich sie ins Bett bringe?«
Ich nicke dankbar und wische mir die Tränen weg. Er bringt Rae herein, um mir Gute Nacht zu sagen, und ich zwinge mich zu einem warmen Lächeln, küsse sie auf den Mund, auf die Wangen, auf die Haare. Ihre Augen glänzen vor Freude darüber, dass Tom und ich zur Schlafenszeit zusammen sind – tolle Neuheit!
»Es riecht so gut in unserer Wohnung«, zwitschert sie. »Meine Bären sitzen alle in einer Reihe.«
Ich wollte mich eigentlich nur kurz aufs Bett legen. Aber ich kann keinen Finger rühren. Es ist schön, einfach nur ein wenig ausruhen zu können; schwer lasse ich die Arme sinken und bleibe reglos liegen, während Tom sich mit Rae beschäftigt. Bis auf die leisen Schritte des Paares oben ist alles still; ich höre nur das Gemurmel aus Raes Zimmer, als Tom ihr vorliest. Nur noch eine Minute, denke ich ständig, dann stehe ich auf.
Zwanzig Minuten später höre ich Tom sagen: »Wir sehen uns morgen, ich komm dich besuchen.« Mit einem Ruck setze ich mich auf und merke, dass ich beinahe weggedöst bin. Ich gehe in Raes Zimmer, wo Tom sich über ihr Bett beugt und ihr einen Gutenachtkuss gibt; in dem kleinen Raum wirkt er wie ein Riese. Ein Riese, der uns früher beschützt hat, jetzt aber nicht mehr für uns da ist. Jetzt beschützt er Kate.
Er dreht sich um und sieht mich an, und das weiche Schimmern der Lichterkette in Raes Zimmer versetzt mich an den Abend zurück, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe: An Sophies Geburtstag kam er, als der Abend dämmerte, mit einem ihrer alten Studienfreunde in unseren Garten in Islington geschlendert, setzte sich an das Feuer, das wir in einem Müllkübel angezündet hatten, und plauderte mit Sophies Mutter, die zu Besuch gekommen war und von allen anderen höflich ignoriert wurde. Ich hatte eine schlechte Woche hinter mir, erinnere ich mich. Als der Abend voranschritt, verirrte sich sein Blick immer wieder zu mir; er schnitt quer über den Garten alberne Grimassen und heiterte mich ein bisschen auf. Dann folgte er mir in die
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