Allein die Angst
zog Peter auf ihr Knie und schlang die Arme um seinen warmen, weichen Bauch. Henry kam angeschlurft, lehnte den Kopf an ihre Schulter und legte seine Hand ganz selbstverständlich auf die ihre. Auch Otto tapste an, kletterte aufs Sofa hinter ihr, ließ die pummligen Beinchen links und rechts von ihrem Kopf baumeln und steckte sich den Daumen in den Mund.
So von den Jungs wie von einem Kokon umgeben, konnte Suzy sich entspannen. Der Raum war noch warm und gemütlich von der Nachmittagssonne. Nein. Noch war nichts verloren. Wenn sie stark blieb, würde Jez diese Affäre vielleicht irgendwann beenden. »Viele Männer haben Affären, wenn die Kinder klein sind«, hatte Vondra ihr beim ersten Treffen erzählt. »Ich bleibe mit meinen Klientinnen gern in Kontakt; Sie wären überrascht, wie viele berichten, dass es nur eine Phase war. Dass der Mann seine Frau gebraucht hätte und eifersüchtig auf die Kinder war.«
Wer weiß? Vielleicht hatte Jez’ Zug einfach Verspätung. Nebenan hörte Suzy eine Tür zuschlagen und sah auf die Küchenuhr. Wahrscheinlich war dieser merkwürdige kleine Mann gerade nach Hause gekommen.
Das brachte sie wieder auf Callie und Rae. Hatte diese Debs schon mit Callie gesprochen?
Suzy gab den Jungs ein Küsschen, stand auf und verließ die Küche. Sie nahm das Telefon und setzte sich auf die vierte Treppenstufe. Dann wählte sie und wartete. Eine Sekunde später hörte sie durch die Wand ein schwaches Klingeln.
Suzy ließ es fünf-, sechsmal durchklingeln.
Plötzlich flog die Klappe ihres Briefschlitzes auf.
»Ich kann Sie sehen! Ich kann Sie
sehen
!«, rief eine Frau durch die Öffnung. Erst nach ein paar Sekunden erkannte Suzy, dass die hinter der schwarzen Brillenfassung hereinspähenden Augen ihrer Nachbarin von nebenan gehörten.
»He! Was zum Teufel soll das?«, rief Suzy und knallte den Hörer zurück auf die Halterung.
Hinter ihr erschienen die Jungs in der Diele, einer nach dem anderen, und rissen gebannt die Augen auf.
»Was ist denn los, Mummy?«, fragte Henry.
»Sie rufen bei mir an!«, stammelte Debs. »Andauernd. Sie wollen mich mit Telefonterror einschüchtern. Das lasse ich mir nicht bieten. Das in Hackney hat gereicht, hier dulde ich das nicht!«
»Was werden Sie nicht dulden?«, fragte Suzy. »Wovon reden Sie überhaupt? Ich rufe meinen Mann an. Bei Ihnen piept’s wohl! Sie machen meinen Kindern Angst.«
»Aber ich sehe doch, was Sie treiben!«, rief Debs weinerlich. »Sie rufen bei mir an. Sie legen auf, sobald Sie meine Schritte hören.« Ihre Stimme schraubte sich in schrille Höhen. »Warum tun Sie das? Hat der Junge Sie dazu angestiftet?«
Suzy starrte sie mit großen Augen an. »Gute Frau, ich glaube, Sie leiden unter Verfolgungswahn. Ja, ich habe mal versucht, Sie zu erreichen. Ich wollte Sie bitten, endlich bei Callie anzurufen, denn sie regt sich ziemlich auf, weil Sie sich nicht melden – und das kann ich ihr gut nachfühlen. Also – haben Sie nicht gehört? Sie machen meinen Kindern Angst! Reicht es noch nicht, was Sie sich bei Callies Tochter geleistet haben? … Gehen Sie, sofort, oder ich rufe die Polizei! Das ist mein Ernst.«
Der Frau schien es die Sprache zu verschlagen. Ihr entfuhr nur ein unterdrückter Japser.
»Mein voller Ernst!« Suzy stand auf und riss die Haustür auf. »Scheren Sie sich weg von meinen Kindern! Aber dalli!«
Die Frau blieb vor ihr stehen. »Ich habe dem Poplar-Mädchen nichts getan!«, rief sie. »Sie hat alles so hingedreht, dass die Leute glauben …«
Da kam ihr Mann mit dem Telefonhörer aus dem Nachbarhaus.
»Ach, da bist du, Schatz. Die Gaswerke sind dran, wegen unseres neuen Kundenkontos.«
Suzy schüttelte langsam den Kopf. Die Frau verstummte, schien nun vollends konfus. »Aber ich weiß, dass sie angerufen hat«, nörgelte sie, auf Suzy deutend. »Ich weiß, dass sie es war. Vielleicht hat der Junge nichts gesagt, aber vielleicht hat sie es in der Zeitung gelesen?«
Suzy sah Debs’ Mann an. Seine Kiefer malmten.
»Mr. Ribell, bringen Sie bitte Ihre Frau nach Hause«, forderte sie ihn so ruhig wie möglich auf, um die Kinder nicht zu erschrecken. »Sie braucht dringend Hilfe.«
Noch zwanzig Minuten später kreiste Adrenalin in Suzys Adern. Wie ein Automat brachte sie die Kinder ins Bett, ohne sie vorher zu baden. Sie wollte nur endlich zu Callie hinübergehen und ihr von dem Auftritt erzählen.
»Wollte die Frau dir was tun, Mummy?«, fragte Henry später, als er sich zum Einschlafen
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