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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne LaBastille
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zuschlägt«, rief er uns von der Schwimmkufe zu, »solltet ihr besser zu Fuß nach Hause wandern. Das Gepäck hole ich dann später. Solang’s aber noch Lücken in den Wolken gibt, komme ich wie geplant. Viel Spaß.«
    Er kletterte ins Cockpit, schlug die Tür zu und winkte. Mr. Brown faßte eine Flügelspitze und schob ihn in tieferes Wasser. Ich hörte das anschwellende Motorgeheul, das Wasserrauschen an den Kufen, das Sausen des Windes an den Flügeln. Das kleine Flugzeug sprang von der Seeoberfläche hoch, und zwei silberne Wasserstreifen zogen sich wie Perlenketten von den Kufen durch die Luft. Möwengewandt schwang sich das Maschinchen über einen niedrigen Hügel und verschwand. Rasch verebbte sein Brummen.
    Ebenso rasch stieg die heiße Erkenntnis in mir auf, in welch brenzlige Lage ich mich da eigentlich begeben hatte. Ich war mit einem älteren Mann allein an einem einsamen See in den Adirondacks, auf ihn angewiesen zum Überleben. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo ich war oder was ich als nächstes tun sollte. Ein eigenartiges Zittern lief durch meinen Körper, bewirkt von der Vorfreude aufs Kampieren, von der Sturmwarnung, von der Präsenz meines vielbewunderten Bosses und von meiner neuen Rolle als Partnerin und nicht mehr als Angestellter.

    Morgan schulterte bereits zwei Packkörbe, einen in jeder Hand. Unter seinem karierten Flanellhemd spielten die Muskeln. Meine Verwirrung schien er nicht zu bemerken.
    »Schnappen Sie sich ein paar Teile«, sagte er geschäftsmäßig und ging auf die Weymoutskiefern zu. »Ich zeig’ Ihnen, wie man das Lager aufschlägt. Im Sommer, wissen Sie, würden wir unter diesen Kiefern nicht kampieren. Da würden wir mehr nach vorn auf die Landzunge gehen, wegen der frischen Brise, die die Insekten wegweht. Außerdem können die hohen Kiefern bei einem Gewitter gefährlich sein, weil sie Blitze anziehen.«
    Wir arbeiteten den ganzen Nachmittag, schnitten Stangen zurecht, bauten kleine Bänke und ein rohes Holztischchen, hingen Säcke und Kleidung zum Auslüften auf eine Leine und sammelten Brennholz. Morgan riet mir, Reisig und trockene Rinde im Zelt zu stapeln, falls es regnen sollte. In der Nähe plätscherte eine kleine Quelle, aus der wir alle unsere Töpfe mit Wasser füllten. Gegen sechs war das Lager fertig eingerichtet, und Zwielicht senkte sich über den See.
    Ich zog mich einen Augenblick zurück und legte meinen Schlafsack auf der Bodenplane bescheiden unter einer großen Kiefer aus. Es wäre mir nie eingefallen, mit dem Boß in einem Zelt zu schlafen.
    »Da draußen werden Sie im Schlafsack aber frieren«, warnte mich Morgan. »Es ist nur ein Sommersack, und heute nacht werden wir wohl kalten Wind oder Regen kriegen.«
    »Oh, das macht nichts«, sagte ich verlegen. (Ich hatte noch nie allein mit einem Mann geschlafen, weder im Zelt noch sonstwo.)
    »Sie können ruhig mit ins Zelt, wenn Sie wollen«, fuhr er fort, als hätte er meine Gedanken gespürt. »Kampierer teilen ihr Quartier. In den staatlichen Schutzhütten im Park verlangt es die Etikette, daß jeder Wanderer, männlich und weiblich, aufgenommen wird, solange noch Platz ist.«
    »Nein, es ist schon gut«, versicherte ich hartnäckig, »nachts friere ich nicht.«
    »Wie Sie wollen, Daniel Boone«, sagte er und lächelte. »Denken Sie nur daran, daß das Zelt da ist, wenn Sie’s brauchen. So, und jetzt wollen wir uns um das Abendessen kümmern.«
    Ein spektakulärer Sonnenuntergang überglühte den Deep Lake und spiegelte sich im ebenholzschwarzen Wasser. Safrangelbe, Scharlach- und lachsrote Streifen wechselten mit langen grauen Wolkenbändern. Böiger Wind fuhr durch die Bäume und schüttelte Laub ab, das raschelnd durch das Geäst fiel. Am Lagerfeuer legte Morgan Fleischscheiben auf den Grill. In einem großen Emailtopf brodelte es. Aluminiumteller, Tassen und Bestecke tauchten auf. Die Temperatur fiel stetig. Wieder rann dieses eigenartige Zittern durch meinen Körper. Ich rückte näher ans Feuer.
    Wir aßen herzhaft und ließen uns Zeit. Kein launischer französischer Koch rief Befehle durch die Küche, keine Kellnerin flatterte unter seinem Blick wie eine verängstigte Wachtel herum. Keine schmutzigen Geschirrberge warteten neben der dampfenden Spülmaschine. Als wir uns sattgegessen hatten, glänzten schon die Herbststerne über den Spitzen der Kiefern. Kein Mond schien. Hin und wieder zog ein dünner Wolkenschleier über den Himmel, geschoben von einem fernen hohen Wind, den wir nicht

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