Allein in der Wildnis
Töpfe und Schüsseln ließen wir bis zum nächsten Morgen stehen. In der arktischen Nacht würden sie niemanden stören und von niemandem gesehen werden. Über den See zurückfahrend, fühlte ich mich winzig klein vor den flackernden grünen und rosafarbenen Fingern, die am Nordhorizont züngelten. Das Nordlicht zeigte sich in dieser Nacht besonders schön und gab zum Schneemobil-Picknick ein passendes Finale ab.
Freilich haben die Schneemobile viele militante Gegner. Ein Mann aus Hawk Hill explodierte, als ich auf meiner neuen Rupp angeritten kam: »Um Himmels willen, Anne, hast du jetzt auch eine von diesen verdammten umgebauten Motorsägen?«
Nachteile und Widersprüche sind nicht zu leugnen. Fahrer vergessen ihre Manieren und wecken Nachbarn nachts um drei mit heulenden Motoren. Ein Hausbesitzer geriet so in Rage, daß er den Führer eines Schneemobilrudels mit dem Gewehrkolben verprügelte.
»Wenn ihr um diese Uhrzeit hier noch mal auftaucht«, donnerte er, »gebrauche ich das andere Ende vom Gewehr!«
Zwar gibt es Gesetze im Staate New York, die für Schneemobile zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh langsames Tempo und dreißig Meter Mindestabstand zu Häusern vorschreiben, aber das hat solche aggressiven Revierkämpfe nicht verhindert.
Rücksichtslose Schneemobil-Fahrer hinterlassen auch Müll und Umweltverschmutzung. Mitten auf dem Black Bear Lake habe ich schon Bierdosen aufgelesen. An windstillen Tagen sieht man Kolonnen von Maschinen richtige blaue Abgasfahnen hinter sich herziehen. Neue synthetische Öle sollen den Ausstoß an unverbrannten Kohlenwasserstoffen etwas vermindern, aber es hängen immer noch Abgaswolken in unserer klaren Adirondack-Luft.
Das Hauptübel ist der Lärm. Er ist es jedenfalls in meinen Augen (beziehungsweise Ohren). Die Motoren sind ausgesprochen gehörschädigend. Bei neuen Modellen soll durch bessere Schalldämpfung der Lärm etwa auf den Pegel eines Staubsaugers reduziert worden sein. Welch ein Unterschied, wenn ich heutzutage an Winterabenden die Tür meiner Hütte aufmache: die ungeheure Stille gibt es nicht mehr. Immer summen, schnurren, röhren oder heulen irgendwo Schneemobile durch die Nacht.
Der vielleicht einschneidendste und kritikwürdigste Nachteil der Schneemobile ist die Leichtigkeit, mit der sie in bisher unberührte Wintergebiete Vordringen können. Jemand, den ich vom Square Dance kenne und der in dem entlegenen Ort Beaver River geboren ist — der keine Straßenverbindung zur Außenwelt hat — , sagte zu mir: »In meiner Jugendzeit konnte ich im Winter vor die Tür treten und die Stille hören. Kein Laut im Umkreis, nur hin und wieder ein Baum, der knackte, oder Eisknistern. Das gibt’s nicht mehr. No, Sir!« Er verzog sein hageres sympathisches Gesicht, stieß beide Arme nach vorn, als ob er die Lenkstange eines Schneemobils packte, und brüllte: »Jetzt geht es nur noch: Bruuuuuuuumm, Bruuuuuuuumm, Bruuuuuuuumm!«
Wettrennen zwischen Schneemobil und Hund auf dickvereistem See.
(Foto: David Allen Harvey, Chimera)
Dennoch: Die Schneemobile werden sich nicht wieder abschaffen lassen. Allein im Staate New York sind mehr als 180 000 registriert, im gesamten nordamerikanischen Schneegürtel mehr als 1 600 000. In Kanada und USA zusammen gibt es weit über zwei Millionen Maschinen.
Die Umwelt- und Naturschutzbehörde des Staates New York unterhält in den Adirondacks schätzungsweise anderthalbtausend Kilometer offizielle Schneemobilwege. Und die Städtchen Webb und Inlet, die sich beide »Schneemobil-Hauptstadt des Nordostens« nennen, haben allein fast achthundert Kilometer befestigte Schneemobilpisten.
Von der besten Seite zeigt sich das Schneemobil in Notfällen, wenn es Menschenleben rettet und Verletzten in abgelegenen und isolierten Gebieten Hilfe bringt. Im zweiten Winter, in dem ich mein Schneemobil hatte, trug sich ein beängstigender Vorfall zu.
Es war ein strahlend schöner, ruhiger Februartag, der erste nach rund zehn Tagen Schneetreiben, Eisregen und schneidendem Wind. Frühnachmittags kam ich von der Post zurück und blieb noch ein bißchen draußen im Freien. Die Sonne schien mir auf den Rücken, als ich mich über die Haube meines Schneemobils beugte, die Zündkerze prüfte und Benzin nachschüttete. Gerade hatte sich der Tank gurgelnd gefüllt, meinte ich einen fernen Ruf oder einen Schrei zu hören. Ich setzte den Einfülltrichter ab und lauschte. Wieder: »Anne, Anne, komm...« Der Rest verschwamm. Der Ruf kam aus ungefähr
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