Allein in der Wildnis
der Hütte, Mäusen in den Schubfächern und dem CB-Gerät auf dem Tisch. Einsamkeit hat hier in den Bergen eine durchdringende Qualität. Manche Menschen leiden darunter mehr als andere. Am schlimmsten ist es für Kranke, Alte, Geschiedene, Verwitwete und Isolierte. Ich habe beim Warten darauf, daß ein Schneesturm endlich abklang, unerträgliche Stunden in meiner Hütte erlebt. Die Straßen sind dann blockiert. Die Post funktioniert nicht mehr, und die Telefon- und Stromleitungen sind unterbrochen. Rasende Winde machen das Autofahren gefährlich und verhindern Besuche.
Ich kenne einen achtzigjährigen Freund, der dann stundenlang die Straße hinabstarrt und nur vom Wind aufgewirbelte »Schneeteufel« sieht. Trübsinnig murmelt er: »Winter — ich liebe ihn nicht, ich mag ihn nicht einmal. Man muß ihn ertragen lernen — oder nach Florida fahren.«
Im Winter versuche ich immer möglichst aktiv zu bleiben. Ich schreibe, besuche gute Freunde, berate, reise. Es ist ein bewußter Kampf gegen die Einsamkeit. Viele Überwinterer gehen in den örtlichen Bars und Kneipen auf Suche nach Geselligkeit, Unterhaltung, Nestwärme. Hier wird der Ortsklatsch ausgetauscht, werden Aktualitäten diskutiert, werden Wetten abgeschlossen, wann auf welchem See das auf dem Eis liegende Testfaß durch die Decke bricht. Manche Überwinterer kommen nur, um eine Tasse Kaffe zu trinken; bei anderen artet’s zum Adirondack-Haarschnitt aus, und sie bleiben ein paar Tage. Wir alle suchen Zuflucht vor der Einsamkeit.
In jenem ersten Winter erschien ein Artikel von mir in einer regionalen Zeitschrift mit einem Schnappschuß und dem Hinweis, ich lebte in einer Blockhütte. Von einer kurzen Reise zurückkehrend, fand ich fremde Schneeschuhspuren, die zu meiner Tür führten. Im Türspalt ein Brief. Ich machte ihn auf und fand ein siebenseitiges Dokument, das auf meinen Artikel Bezug nahm, und ein Liebesgedicht! Die Absenderadresse war ein winziges Nest in den Adirondacks; der Absender wohnte ebenfalls in einer Blockhütte.
Überrascht erkundigte ich mich in Hawk Hill, Lake Serene und an anderen Orten nach meinem ungebetenen Besucher. Er hatte überall in den Adirondacks nach mir herumgefragt, um mich zu finden. Damals, ehe Schneemobile populär wurden, war jedes fremde Gesicht im Winter eine Neuigkeit. Es gelang mir, eine recht ausführliche Beschreibung meines Besuchers zusammenzubekommen. Ein netter junger Mann, anständig in alte Waldläuferkluft gekleidet, dunkles Haar, blaue Augen — so wurde er geschildert.
Mit Zurückhaltung beantwortete ich seinen Brief. Ich schrieb, ich bewunderte zwar seine Beharrlichkeit, mit der er sich auf die Suche nach einer Seelenverwandten gemacht habe, die in einer Blockhütte im Wald lebe, doch hätte ich mich über sein Eindringen in meine Privatsphäre auch geärgert. Er antwortete mit einem weiteren Gedicht. Wir korrespondierten eine Zeitlang, aber es schien, als suche er eine Traumperson, eine abgehobene Einsiedlerin und Philosophin. Schließlich schlief der Briefwechsel ein. Ich habe diesen romantischen Schneeschuhgänger nie kennengelernt. Vielleicht war das besser so, denn ich hätte sein Traumbild zerstören können. Aber ich fühle mich ihm immer noch verbunden. Er war einsam, wie ich.
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Winter heute
Der Winter heute ist freier, vergnüglicher. Er beginnt, wenn die erste Schneedecke liegt und wenn das erste Schneemobil schnurrt. Statt sich wie die Waldmurmeltiere zu verkriechen und am Hüttenkoller zu leiden, können die Einheimischen jetzt hinaus, können ein Sozialleben pflegen. Viele Ortschaften haben sich dadurch von Grund auf verwandelt. In wintermüde Dörfchen bringt das Schneemobil frische Gesichter, Geselligkeit, Enthusiasmus und Trubel. Die Fans kaufen Essen, Getränke, Kleidung, Benzin und Öl; sie brauchen Unterkünfte und Reparaturdienste. Flirts werden beflügelt, im doppelten Sinn. Binnen weniger Jahre hat das Schneemobil das Winterleben in den Adirondacks — besonders mein Winterleben — tiefgreifend beeinflußt.
An einem guten Schneemobil-Wochenende ist jedes Gasthaus im Nordland von Touristen bevölkert. Sie bringen ihre Maschinen, Wohnwagen, Kleinlaster, Schlitten, knallbunte Schneemobil-Kluften, Stiefel, Helme, Handschuhe, Brillen und Armschoner. Karawanen dröhnen über Straßen und Wege. Menschen stampfen in schweren Gummi- und Fellstiefeln durch Pub- und Restauranttüren. Ganze Klubs rasen über die Seen: die Northwood Snowtravelers, die Motor
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