Allein in der Wildnis
schnell. Tim versuchte, mit dem Schlitten mitzuhalten, aber das schaffte er nicht. So mussten sie immer wieder kleine Pausen machen, und Tim beobachtete dabei den Wald.
Der Himmel über ihnen verdüsterte sich, die ersten Wolken zogen auf. Tim stöhnte. Neuerlicher Schneefall hatte ihnen gerade noch gefehlt; so würden sie heute nie die Hütte erreichen. Sie würden wieder im Freien nächtigen müssen, dachte er sich. Tim war nach der vergangenen Nacht müde und kaputt. Langsam hatte er seine Grenze erreicht.
Kurz darauf zeigte sich der Himmel voller Wolken. Sachte rieselte Schnee herab, zunächst noch wenig und dann immer mehr.
Tim war außer Atem, an die Wölfe dachte er schon nicht mehr. Das Wetter machte ihm zu schaffen und seine Müdigkeit steigerte sich ins Unermessliche.
Plötzlich tauchte ein Wolf auf dem Weg vor ihnen auf.
Der Hund erschrak, der Schlitten geriet ins Schlingern und kippte gemeinsam mit Kevin um. Neben dem Weg befand sich ein kleiner Bach. Kevin konnte sich nicht am Schlitten festhalten und kullerte auf das Eis des Baches. Durch die Last brach das Eis, und der Junge sank mit den Füßen ein.
Der Wolf knurrte, blieb aber auf der Stelle stehen. Tim hatte das Gewehr im Anschlag, als auch hinter ihm ein Knurren erklang. Tim drehte sich vorsichtig ein wenig und sah den zweiten Wolf. Hatten die beiden Wölfe sie verfolgt? Tim überlegte kurz. Wenn er auf einen Wolf schoss, dann fiel sie der andere an. Aber auf beide zugleich konnte er nicht schießen. So oder so musste er sich also einem Wolf stellen. Aus dem Augenwinkel schaute er nach Kevin. Dieser kletterte gerade ans Ufer. Er war durchnässt und zitterte. Tim wusste, dass Kevin unbedingt seine nassen Sachen ausziehen musste. Er hoffte, dass es Kevin bis zur Hütte schaffen würde. Ringo hatte einen guten Orientierungssinn und würde ihm schon helfen. Er hoffte es einfach, obwohl er nicht überzeugt war.
Scheiße, er hatte seinem Bruder versprochen, dass alles gut werden würde. Und jetzt? Einer der Wölfe sprang. Tim drückte instinktiv ab. Er ahnte, ohne nachzuschauen, dass er getroffen hatte. Gerade noch rechtzeitig drehte er sich zu dem anderen Wolf um, als dieser zum Sprung ansetzte. Tim riss seine Waffe hoch, aber der Wolf warf ihn zu Boden. Jetzt war es aus! Aber auf einmal ließ der Wolf von Tim ab. Dieser blutete, aber er achtete nicht darauf. Schnell stand er auf und legte seine Waffe erneut an. Dann erst nahm er wahr, was gerade vor ihm passierte: Er sah zwei Wölfe miteinander kämpfen. Der eine von ihnen jaulte und rang verbissen, er war noch sehr jung. Der andere Wolf sah jedoch viel stärker aus. Ein Biss, und der erste Wolf war tot. Dann fuhr der verbliebene Wolf herum und starrte Tim regungslos an.
Tim hielt noch immer die Waffe im Anschlag, als der Wolf sich langsam näherte. Er blieb vor Tim stehen und schaute ihn an. Tim konnte nicht schießen, ein unbestimmtes Gefühl hielt ihn davon ab. Eine Weile standen sie so und sahen sich an. Dann senkte Tim die Waffe und der Wolf sprang ihn an. Kevin, der wie gelähmt in einiger Entfernung stand, schrie; der Hund bellte wie verrückt an seinem Schlitten. Tim lag im Schnee, und der Wolf leckte sein Gesicht ab. Tim umarmte ihn und rief: „Bandit, mein Bandit, du hast mich so erschreckt. Ich habe dich so vermisst, wo bist du nur gewesen?“
Tim setzte sich auf und streichelte den Wolf. „Du hast mir das Leben gerettet, Bandit.“ Das Tier legte seinen Kopf auf die Schulter des Jungen. Tim rief: „Ich danke dir, ich danke dir so.“
Auch Kevin kam nun näher, er war dem Erfrieren nahe. Kleine Eiskristalle bildeten sich bereits an seiner Hose. Zitternd stand er vor den beiden. „Mir ist so furchtbar kalt.“
Tim erschrak und musterte seinen Bruder. „Oh je, komm, du brauchst unbedingt trockene Sachen.“ Tim ging zum Schlitten und suchte darin herum, dabei meinte er: „Gut, dass der Schlitten nicht ins Wasser gefallen ist!“ Kevin stand zitternd daneben und brachte kein Wort mehr heraus.
Tim fand tatsächlich einige trockene Kleidungsstücke, aber Kevin zitterte so sehr. Tim fluchte, zog seinem Bruder die nassen Schuhe und Hosen aus und half ihm in die trockene Kleidung. Aber Kevin zitterte immer noch.
„Lege dich auf den Schlitten! Ich packe dir eine Decke darüber, dann wird dir bald wärmer.“
Kevin gehorchte, Tim richtete den Schlitten wieder auf und packte den Bruder in die Decken ein. Es schneite. Tim wusste nicht, wie weit sie von der Hütte entfernt waren.
Weitere Kostenlose Bücher