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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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nichts.
    Endlich schlief er wieder ein. Aber schon änderte sich sein Verhalten. Sein Schlaf war nicht mehr so tief; eher war es ein leichter Schlummer, aus dem er zweimal in der Nacht von leisen Geräuschen geweckt wurde. Kurz vor Tagesanbruch, kurz bevor im ersten Dämmerlicht die Mückenschwärme kamen, hatte er einen Traum. Diesmal träumte er nicht von seiner Mutter oder ihrem Geheimnis, sondern zuerst von seinem Vater und dann von Terry, seinem Freund.
    Im Traum sah er seinen Vater im Wohnzimmer stehen. Er sah Brian an und sein Gesichtsausdruck verriet, dass er ihm etwas sagen wollte. Etwas Wichtiges. Seine Lippen bewegten sich, aber es war kein Laut zu hören; nicht mal ein Flüstern. Er streckte die Hände nach Brian aus, gestikulierte vor seinem Gesicht, als wollte er etwas abkratzen. Wie strengte sein Vater sich an mit den Lippen ein Wort zu bilden, doch Brian verstand noch immer nicht. Dann presste sein Vater die Lippen zusammen, als wollte er »mmmm« sagen, aber es kam kein Ton. »Mmmm-maaa.« Brian hörte es nicht und verstand es nicht. Obwohl er verstehen wollte. Es wäre so wichtig gewesen, dass er den Vater verstand. Dass er hörte, was er ihm sagen wollte. Sein Vater wollte ihm helfen, wollte ihm etwas sagen; und als Brian auch jetzt nicht verstand, schaute er ungeduldig – wie er immer geschaut hatte, wenn Brian eine überflüssige Frage stellte. Dann verschwand das Gesicht des Vaters, löste sich einfach im Nebel auf.
    Damit schien der Traum vorbei. Dann aber tauchte Terry auf. Der Freund schien ihn nicht zu beachten. Er saß im Park auf einer Bank, vor einer Feuerstelle – und lange passierte nichts. Dann stand Terry auf und schüttete Holzkohlen aus einem Sack in die Feuerstelle, goss Spiritus darüber und klappte sein Zippo-Feuerzeug auf. Erst als die Flammen aufloderten, schien er Brian zu bemerken. Er drehte sich nach ihm um und deutete auf das Feuer, als wollte er sagen: »Sieh mal, ein Feuer.«
    Brian verstand die Botschaft nicht. Nur wünschte er sich, er könnte so einfach Feuer machen. Er sah die Einkaufstüte neben Terry liegen. Bestimmt waren Würstchen darin und eine Tube Senf. Brian lief die Spucke im Mund zusammen. Aber Terry schüttelte nur den Kopf und deutete wieder auf das Feuer. Noch zweimal deutete er aufs Feuer und zeigte Brian die Flammen. Doch Brian fühlte nur Wut und Enttäuschung.
    Na schön!, dachte er. Ich sehe das Feuer. Aber was nützt es mir? Ich habe eben kein Feuer. Ich weiß, dass ich Feuer brauche. Das weiß ich selbst.
    Er schlug die Augen auf – es war hell in der Höhle, ein erstes, graues Tageslicht. Er presste die Hand vor den Mund und versuchte sein Bein zu bewegen, das steif geworden war. Er hatte Durst und angelte sich eine Handvoll Himbeeren aus seinem verknoteten Anorak. Sie waren weich geworden, etwas matschig, hatten aber noch immer ein süßes Aroma. Er zerdrückte die Beeren mit der Zunge und ließ sich den köstlichen Saft durch die Kehle rinnen. Ein metallischer Schimmer fiel ihm ins Auge – und da sah er sein Beil im Sand liegen, das er in der Nacht nach dem Stachelschwein geschleudert hatte.
    Stöhnend bewegte er wieder sein Bein und kroch zu dem Beil hinüber. Er hob es auf und untersuchte es – und sah die Scharte an der stumpfen Seite der Klinge. Es war keine tiefe Scharte, aber das Beil war sein kostbarster Besitz, sein einziges Werkzeug. Er hätte es nicht werfen sollen. Es wäre besser gewesen, es in die Hand zu nehmen und sich eine Waffe zu machen, mit der er ein Tier vertreiben konnte. Vielleicht einen Knüppel oder eine Lanze, dachte er.
    Und während er das Beil in der Hand wog, kam ihm – halb unbewusst – eine Idee. Irgendetwas, das mit dem Traum, mit seinem Vater und Terry zu tun hatte. Aber er verstand noch immer nicht.
    »Ahhh …« Brian kroch hinaus ins Freie, richtete sich auf und streckte seine verkrampften Muskeln in der Morgensonne. Das Beil hielt er noch immer in der Hand, und während er die Arme über den Kopf reckte, fiel ein erster Sonnenstrahl auf das blanke Metall. Silbern blitzte die Klinge, leuchtend wie Feuer.
    Ja, Feuer! Das war’s, dachte er, was Vater und Terry ihm sagen wollten. Das Beil war die Lösung des Problems. Als Brian das Beil nach dem Stachelschwein geschleudert hatte, war das Beil gegen den Felsen gekracht. Ein goldener Funkenregen war in der Dunkelheit aufgesprüht. Glühende, blitzende Feuerfunken. Ja, das Beil war die Antwort. Dies war’s, was die beiden ihm zu sagen versuchten. Er

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