Allein mit dem Teufel: Roman (German Edition)
Gelassenheit komplett eingebüßt. Jetzt wusste er, wie ich mich fühlte. »Hör zu, da ist noch etwas, was ich dir sagen möchte.«
Ich zuckte die Achseln.
»Es geht mir miserabel«, gestand er. »Ich wünschte, ich könnte die Uhr zurückdrehen und alles anders machen. Ich möchte nicht heiraten. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich möchte … Ich möchte, dass wir …«
Wenn er das sagen wollte, was ich glaubte, dass er sagen wollte, legte ich absolut keinen Wert darauf, mir auch noch den Rest anzuhören. Ich hatte so die Schnauze voll von dieser Situation, dass es schon komisch war. Nur war es das nicht. Nicht im Geringsten.
Ich flippte aus.
»Kein Mensch hat dich gezwungen, ihr einen Antrag zu machen. Was zum Teufel hat dich dazu getrieben, sie zu bitten, dich zu heiraten, wenn du sie nicht heiraten willst?«
»Es ist kompliziert.«
»Ist sie schwanger?«
»Nein.«
»Braucht sie eine Greencard?«
»Nein.«
»Dann verstehe ich nicht, was daran so kompliziert sein sollte.«
»Ihr Vater ist der Geschäftsführer einer wichtigen Firma in Boston. Ich könnte unglaublich viel Geld durch ihn verdienen.«
Machst. Du. Witze?
»Das kann nicht dein Ernst sein! Du willst sie wegen des Geldes ihres Vaters heiraten?«
Er schwieg.
»Mann. Ich schätze, Frauen sind nicht die Einzigen, die sich nach oben schlafen können, was? Ihr zwei verdient einander. Mich verdienst du mit Sicherheit nicht. Verpiss dich.«
Die Unterhaltung, unsere Beziehung und unsere Freundschaft waren beendet. Und es tat weh. Ich winkte einem Taxi und ließ ihn stehen.
Der Juni 2008 war eine Katastrophe. Es war schon beinahe so weit, dass ich niemandem erzählen mochte, womit ich mein Geld verdiente. Worauf ich früher stolz gewesen war, jagte mir heute Angst ein. Die Telefone klingelten pausenlos, das Team schaffte es nicht, die endlosen Forderungen nach Informationen zu befriedigen. Klienten wollten wissen, was die Zukunft brachte: Werden sich die Dinge entspannen, sollten sie verkaufen, wenn die Märkte rückläufig waren, oder kaufen in der Hoffnung, dass sie sich wieder entspannten? Wo endete unserer Meinung nach die Arbeitslosenquote? Während der Depression lag sie bei zehn Prozent; war es möglich, dass sie diesen Level wieder erreichte? Das Einzige, was allen Klienten gemeinsam war, war ihre Panik. Die Händler waren erschöpft und fluchten und schmissen mit Gegenständen um sich, aber sie konnten ihre Verluste einfach nicht aufhalten.
Eines Montagmorgens setzte eine unerwartete Stille ein, das unaufhörliche Telefonklingeln setzte aus. Ich brauchte ein paar Minuten, um die Situation zu erfassen. Kaum dass ich aufblickte, spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Niemand war hungrig, und das war nie ein gutes Zeichen.
Drew las die Schlagzeilen, die über seinen Computer scrollten. Er sah mich fragend an, als ich hinüberrollte zu ihm mit meinem Stuhl.
»Was ist los? Hier stimmt was nicht«, sagte ich.
Drew sah mich verschwörerisch an und flüsterte: »Sehr viele Meetings der Führungskräfte. Zu viele Manager hinter verschlossenen Türen, zu viel Geflüster in den Fluren. Bisher hat kein Mensch Chick gesehen. Das ist nicht gut.«
»Vielleicht ist er in einer Besprechung?«, fragte ich panisch.
»Vielleicht ist er der Grund für eine Besprechung.«
Scheiße.
Das war schlimm. Ein neuer Vorgesetzter am Desk bedeutete, dass man sich für seinen eigenen Job bewerben musste, und wenn der neue Boss einen nicht mochte, aus welchem Grund auch immer, würde man entlassen und von einem ihm Genehmen ersetzt werden. Man machte sich besser keine Feinde an der Street, weil immer die Möglichkeit bestand, dass man eines Tages wieder auf sie treffen und mit ihnen zusammenarbeiten musste. Offenbar hatte Cruella dieses Memo verpasst.
»Glaubst du, dass Chick geht? Wer wird dann das Team leiten? Wohin will er denn? Hat er ein Angebot?«
»Sehe ich aus wie ein Hellseher? Ich glaube nicht, dass er von sich aus gehen will, wenn das überhaupt passieren sollte.«
»Was sollen wir nur tun?«
»Warten.«
Wir mussten nicht lange warten.
Reese stand fünf Minuten später auf und verkündete, dass man uns im Konferenzraum erwartete. Wir blickten uns gegenseitig an und folgten ihm zögernd. Keiner äußerte ein Wort. Ich setzte mich auf einen der Stühle, die an der Wand aufgereiht standen. Die Hierarchieregeln galten selbstverständlich auch innerhalb eines Konferenzraums; wenn du nicht mindestens Vice President warst, dachtest du
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