Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
nächsten kommt, biegt schon in Bomi ab, noch vor dem Great Landslide.»
Bei dieser Auskunft schaut Cristina betrübt drein. Aber sie fängt sich schnell. «Trotzdem will ich es versuchen», erklärt sie standhaft. «Einfach nach Lhasa fahren ist langweilig. Und außerdem habe ich mich mit meinen deutschen Freunden in der Schlucht verabredet.» Sie wirkt so überzeugt, ich begreife, dass es sinnlos ist, ihr diese Aktion auszureden. Leider habe ich aber auch keinen Schimmer, was ich jetzt hier mit ihr anstellen soll. In einer halben Stunde bin ich mit Bart und Dorje zum Essen verabredet, in einem nahe gelegenen Restaurant. Also frage ich Cristina, ob sie nicht mitkommen will. Ihre Augen leuchten sofort auf. «Gerne. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.» Auf dem Weg zum Restaurant fällt mir auf, dass sie außer einem klitzekleinen Rucksack kein Gepäck dabeihat. «Ist das alles?», frage ich besorgt, denn wer in Tibet ohne Auto unterwegs ist, sollte wenigstens warme Kleidung und ein Zelt einpacken. Es stellt sich heraus, dass sie ihren großen Rucksack in Yunnan gelassen hat. «Ich dachte, in Tibet brauche ich nicht so viel. Aber in sechs Wochen bin ich in Pakistan. Freunde haben versprochen, mir das Gepäck nach Islamabad nachzuschicken.» Freunde, Islamabad, Pakistan. Aha, auch das noch.
Ich bin mir nicht sicher, ob Bart begeistert ist, wenn ich zum Essen eine Illegale anschleppe. Immerhin ist er ein offiziell zugelassener Guide und könnte seine Lizenz gefährden, wenn er sie bewirtet. Doch Bart hat mit Cristina kein Problem. Er blüht sogar richtig auf beim Essen, bestellt sehr großzügig vom Reisegeld und plappert zu meiner Überraschung plötzlich wie ein Wasserfall. «Siehst du, Chris», sagt er etwas spitz zu mir, «so hättest du es doch auch machen können, ohne mich, den Jeep und die Permits.» Klar, denke ich. Wenn man eine kleine Maus ist mit sehr großen Brüsten und dazu noch weinen kann, wenn’s gerade nötig ist, dann mag es sogar eine Zeitlang klappen.
Trotzdem sehe ich schwarz für Cristinas Weiterreise. Schon Bayi könnte sich als ihre letzte Station erweisen. «Du weißt wahrscheinlich nicht», erkläre ich ihr, «dass im Lonely Planet und im Internet vor Bayi gewarnt wird? Die Polizei soll hier besonders gründlich kontrollieren. Leuten ohne Permit wird ausdrücklich geraten, sich von dieser Stadt fernzuhalten.» Aber auch diese Information kann Cristina nicht schrecken. «Ich habe gar nicht vor», verkündet sie, «heute Nacht hierzubleiben.» Auf meiner Karte hat sie nämlich eine Alternativroute in die Schlucht entdeckt. Sie beginnt in der Stadt, auf der anderen Seite des Flusses. Allerdings weiß niemand etwas über diese Strecke und Bart schon gar nicht: «Die Brücke wird vom Militär bewacht. Dahinter bin ich noch nie gewesen.» Trotzdem will Cristina noch heute Abend über den Fluss und sich dort wieder an die Straße stellen.
Vorher aber geht es noch in ein Internetcafé, E-Mails schreiben. Wir finden einen der üblichen Schuppen in der Hauptgeschäftsstraße und sitzen hier für gut zwei Stunden vor den Rechnern. Cristina schreibt sehr lange und verbissen, wie jemand, der von allen Freunden und Bekannten Abschied nimmt. Ich versuche ihr möglichst lange Gesellschaft zu leisten. Aber als ich mit meinen Mails und noch viel längerem Spiegel-Online-Gesurfe durch bin, wird es langsam Zeit, von der wilden Spanierin Abschied zu nehmen. Doch die ist plötzlich nicht mehr ganz so wild wie noch beim Essen. «Es ist schon ziemlich spät. Ich glaube, ich trampe heute doch nicht mehr weiter.» – «Gut. Dann such dir am besten ein kleines Hotel, das von Tibetern betrieben wird. Ich habe gehört, die gehen nicht so schnell zur Polizei.» – «Ja, guter Tipp. Oder, sag mal», sie macht eine Pause und schaut mich mit großen Augen an, «kann ich nicht vielleicht mit in deinem Zimmer übernachten? Ich habe wirklich große Angst, dass ich nochmal so was wie vorgestern erlebe.»
Ich wusste doch, dass ich sie am Hals habe. Und was mache ich jetzt? Im Prinzip habe ich kein Problem damit, fremde Frauen bei mir übernachten zu lassen, besonders wenn es sich um einen Notfall handelt. Doch wenn sie bei einer Kontrolle in meinem Zimmer erwischt wird, darf sicher auch ich von Lhasa aus nach Hause fliegen. Kathmandu kann ich dann vergessen. Und das alles soll ich für eine spanische Maus riskieren, die, wie mir gerade auffällt, noch nicht einmal wirklich gut aussieht? Ich glaube, das will ich
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