Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
eher nicht. Also schiebe ich Bart vor: «Ich würde ja … Aber mein Guide verliert seine Lizenz, wenn wir auffliegen. Das will ich ihm nicht antun.»
Wahrscheinlich wäre ich auch hart geblieben, hätte sie nicht schon wieder so geguckt. Also gebe ich mir einen Ruck: «Okay, machen wir es so: Du versuchst erst einmal, selbst ein Hotel zu finden. Für den Fall aber, dass wirklich alle Stricke reißen: Mein Zimmer ist im fünften Stock, und die Nummer ist 5a.» Ich würde mir am liebsten wegen meines übertriebenen Edelmuts sofort die Zunge abbeißen. Eine knappe Stunde später klopft es an der Tür. Cristina steht davor, ich hatte nichts anderes erwartet. «Keine Angst», sagt sie, «mich hat niemand gesehen. An der Rezeption waren sie gerade beschäftigt.» – «Okay», flüstere ich, «komm bloß schnell rein.» – «Endlich», seufzt sie, als sie im Zimmer steht. Dann erzählt sie atemlos, wie es ihr draußen ergangen ist. In dem Hotel, bei dem sie es versucht hat, haben sie so getan, als sei sie Luft. «Sie haben einfach durch mich durch gesehen und nicht mir geredet. Dann habe ich noch kurz versucht zu trampen, aber keiner hat gehalten. Du bist doch nicht böse, dass ich gekommen bin? Hier im Zimmer kann ja nichts mehr passieren.» Das ist natürlich Quatsch, denn auch wenn sie wirklich niemand gesehen hat, kann es immer noch eine Routinekontrolle geben.
Aber davon sage ich ihr nichts, um sie nicht weiter zu beunruhigen. Eigentlich ist das auch gar nicht nötig, denn nach nur fünf Minuten macht sie sich sowieso nicht mehr die geringsten Sorgen. Kichernd sagt sie: «Eigentlich ist alles furchtbar aufregend. So wie im Film.» Dann huscht sie unter die Dusche. Als sie wieder herauskommt, bin plötzlich ich es, der denkt, er spiele in einem Film mit. Offenbar handelt es sich um eine romantische Liebeskomödie. Ohne Brille und mit offenen, gelockten Haaren sieht Cristina sehr viel besser aus als auf der Straße. Irgendwie wie eine echte Spanierin. Im Film kann der Zuschauer allerdings immer schon vorher erkennen, dass sich hinter der Kastenbrillenschlange ein Vamp verbirgt. Doch diese Verwandlung hier ist eine echte Überraschung. Auch bin ich nicht darauf vorbereitet, dass sie nur noch einen tarnfarbenen Slip trägt und ein Spaghetti-Top mit großem Ausschnitt.
Noch weniger habe ich damit gerechnet, dass sie in diesem Outfit direkt zu mir aufs Bett hüpft. «Können wir», fragt sie, «uns noch einmal deine Karte angucken? Ich will morgen früh los und mir notieren, welche Ortschaften auf dem Weg zur Schlucht liegen.» – «Äh, na klar, wieso nicht?» Ich hole also die Karte raus, und dann liegen wir nebeneinander und studieren das Terrain. Allerdings fällt es mir nicht leicht, mich zu konzentrieren, auch weil sie mich beim Kartenstudium hin und wieder wie unabsichtlich berührt. Ich bin mir dennoch ziemlich sicher, dass nichts weiter dahintersteckt. Sie verhält sich einfach so, als wären wir zehn Jahre verheiratet gewesen, hätten uns dann scheiden lassen, wären aber gute Freunde geblieben, die alles miteinander machen können, bloß Sex ist ausgeschlossen.
Oder will sie etwa doch was? Das wäre allerdings ein Problem. Erstens bin ich verheiratet. Und selbst wenn mir das egal wäre, habe ich zweitens Schiss. Cristina plappert die ganze Zeit so laut, dass ich ständig damit rechne, dass die Tür aufgeht, ein Polizist im Zimmer steht und sagt: «Einmal die Permits, bitte.» Dieser Gedanke mag ja manche Leute stimulieren, aber nicht mich. Also versuche ich mein Bestes, das Dekolleté und alles andere zu ignorieren. «Du musst erst nach Chemnak», zeige ich auf der Karte, «dann nach Dozhong, und ab da ist die Straße gestrichelt: offenbar nur noch ein Yak-und Pferdepfad.» Wirklich bei der Sache bin ich allerdings nicht. Wieso, denkt es in meinem Hinterkopf, laufen mir in China eigentlich die ganze Zeit kleine Frauen zu, die mit mir shoppen, tanzen oder aufs Zimmer wollen? Das ist mir doch früher nie passiert.
Auf jeden Fall widerstehe ich der fleischgewordenen Versuchung auf meinem Bett so lange, bis sie endlich in ihres geht. Cristina reckt und streckt sich nochmal, flötet: «Christian, du bist mein Schutzengel heute Nacht», und ist binnen Sekunden eingeschlafen. Das ist nun wirklich ungerecht, denn obwohl der Schutzengel ziemlich kaputt ist, kann er kein Auge zutun. Stattdessen lausche ich mit klopfendem Herzen immer wieder in die Nacht hinaus. Jedes Taxi, das vor dem Hotel vorfährt, lässt meinen
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