Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
kutschieren. Das, so klärt Bart mich auf, ist nämlich verboten. Weil aber Chinesen sich grundsätzlich wenig um Verbote scheren, wenn sich Geld verdienen lässt, werden solche Fahrten trotzdem unternommen. Wer allerdings erwischt wird, muss hohe Geldstrafen zahlen. Am Ende unserer gemeinsamen Reise erfahre ich also, dass auch ich letztlich ein Illegaler bin. «Ja, und jetzt? Muss ich die letzten Kilometer zu Fuß nach Lhasa schleichen?» – «Keine Angst», sagt Bart, «wir machen Pause bis sechs Uhr. Dann gehen die Polizisten am Kontrollpunkt essen, und wir fahren einfach durch.» Genauso wird’s gemacht, und alles klappt auch, wie von Bart vorausgesagt. Wir passieren den Kontrollpunkt, fahren auf einer langen Brücke über den Lhasa-Fluss und erreichen die Hauptstadt der tibetischen Provinz.
Es muss Lhasa sein, denn über der Stadt erhebt sich das Wahrzeichen, der gigantische Potala-Palast. Aber erst einmal bekomme ich nicht viel von der Stadt zu sehen. Gleich nach meiner Ankunft nehme ich ein Bad und schlafe zwölf Stunden. Am nächsten Morgen liefert mich Bart in Lhasas Altstadt bei einem kleinen grinsenden Tibeter ab, der im Banak Shol, dem ältesten Guesthouse vor Ort, ein kleines Reisebüro betreibt. Dieser Mann, erklärt mir Bart, ist ab sofort für mich und meine Weiterreise zuständig. Der Grinsemann stellt sich nicht vor, weshalb ich ihn für mich gleich Dorje 2 taufe, als Ersatz für Dorje 1, der mich schon gestern Abend Knall auf Fall verlassen hat. Wahrscheinlich habe ich mit dem Namen sogar recht, denn Dorje – was so viel wie Blitz bedeutet – heißen sowieso fast alle Tibeter, wenn sie sich nicht zufällig Lobsang (Schüler) oder Tsering (langes Leben) nennen.
Bart schüttelt mir nochmal kurz die Hand, sagt «auf Wiedersehen», und weg ist er, ohne sich lange aufzuhalten, ohne irgendwelche Sentimentalitäten. Schon wieder ein chinesischer Abschied. Ich kann mich schwer daran gewöhnen, denn auch wenn mir Bart mit seiner Ahnungslosigkeit immer wieder auf die Nerven ging, so ist er mir doch in der letzten Woche irgendwie ans Herz gewachsen. Besonders rührend war, welche Sorgen er sich immer wieder um mich machte. Bei unserer ersten Übernachtung in Westsichuan riet er mir, meine Tür von innen zu verrammeln und niemandem zu öffnen. Und als ich in Xinduqiao allein am Fluss spazieren ging, schickte er mir sofort eine SMS hinterher, in der er mich inständig bat, mich nicht zu weit von der Pension zu entfernen. Diese Fürsorge und seine ganze tranige Art werden mir sicher fehlen.
Allerdings wird er mir auch keinen Quatsch mehr erzählen können. Kurz vor dem Abschied hatte Bart mir noch gesagt, dass mein Permit für Lhasa nur noch zwei Tage gilt. «Dann musst du entweder ein neues Permit haben, oder du musst am zweiten Tag per Flugzeug aus Tibet ausreisen.» Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass mir unter diesen Umständen keine Zeit für Lhasa bleiben würde. Doch dann erwies sich auch diese letzte Bart-Info als kompletter Unsinn. Dorjes Frau oder Kollegin, vom Chef selbst nur auf Englisch «Fat Woman» genannt, erklärt mir, dass in Lhasa niemand nach einem Permit fragt. «Du kannst so lange bleiben, wie dein Visum gilt.» Wenn ich die Stadt allerdings auf dem Landweg wieder verlassen möchte, muss ich neue Permits beantragen. Und die gibt es mal wieder nur, wenn man sich für eine schöne Stange Geld einen Jeep plus Fahrer und Guide mietet, wobei man als Ausländer ausschließlich bei speziell lizenzierten Agenturen buchen darf, die die Bezeichnung Foreign International Travel (F.I.T.) mit im Namen führen.
Das hatte ich schon erwartet, bin aber dennoch etwas enttäuscht. Bis vor ein paar Monaten war es nämlich noch möglich, in Lhasa in den Bus zu steigen und unbehelligt die 318 bis hinunter zur nepalesischen Grenze zu fahren. Seit der Everest-Aktion der Free-Tibet-Leute aber ist auch das vorbei. Wahrscheinlich grinst Dorje 2 deshalb unablässig und führt sich in seinem Büro so huldvoll auf, als sei er ein kleiner König. Er hat zusammen mit sechs, sieben anderen Agenturen jetzt praktisch ein Monopol auf alle Ausländer, die sich in Tibet außerhalb Lhasas unabhängig bewegen wollen. Und braucht dafür noch nicht einmal viel zu tun. «Du willst nach Kathmandu?», sagt er mir. «Das ist ganz einfach. Du suchst dir noch drei andere Leute, und dann mietest du von mir Fahrer, Guide und Jeep. Wenn ihr dazu noch ins Everest Base Camp wollt, kostet euch das siebentausendfünfhundert Kuai.»
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