Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
«Tuzhou?», fragt die Frau zurück, wie in einer blöden Fernsehcomedy. Tuzhou ist tatsächlich auch eine Stadt in der Gegend. «Nein, Huzhou», ich versuche den Namen richtig auszusprechen, obwohl ich gar nicht weiß, wie es richtig geht. «Ach, Huzhou», wiederholt die Frau gedehnt. «Nein, da gibt es keinen Bus.» Sie empfiehlt mir, zunächst mit ihrem Minibus in die Kreishauptstadt zu fahren, von dort soll es irgendwie weitergehen.
Das passt mir gar nicht, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es stimmt: Bis Huzhou sind es doch nur siebzig Kilometer. Also frage ich weiter. Man darf sich in China sowieso nie auf eine einzige Auskunft verlassen. Spätestens der Dritte erzählt einem etwas anderes als der Erste. Okay, heute ist es der Vierte: «Nach Huzhou? Da gibt es jeden Morgen einen Bus. Er fährt genau um sieben, auf dem Platz vor dem Tor zur Altstadt.» Ich entscheide, dem Mann zu glauben, ganz einfach, weil mir seine Information besser in den Kram passt. Danach werde ich vom Blitz getroffen und falle tot um, aber nach nervenzerfetzenden fünf Minuten ist es meiner Frau gelungen, mich wiederzubeleben. Sofort greife ich zu meiner Waffe und … Entschuldigung, das ist das Ende von Mission: Impossible III, nicht IV.
Der Porsche-Bodhisattwa
In diesem Kapitel steigt unser Held auf einen heiligen Berg der Buddhisten. Er trifft einen vergoldeten Mönch, gerät in Gefahr und verliert sich in Phantasien. Am Schluss trifft er noch auf einen alten Bekannten, der zwar nicht spricht, ihm aber doch etwas verraten kann.
Ich gebe zu: Ich habe es nur halb geglaubt. Doch am Morgen steht wirklich ein Bus auf dem Parkplatz vor dem Tor zur Altstadt. Am Mittag setzt mich dieser Bus am Busbahnhof von Huzhou ab. Der Busbahnhof nennt sich auf Englisch Huzhou Highspeed Transportation Center. So glänzend wie der Name, so glänzend ist auch die brandneue Halle, die so groß ist wie ein kleiner Flughafenterminal. Die riesige Leuchtdioden-Anzeigetafel sieht aus wie irgendwas von Jenny Holzer, der Fußboden ist aus blankpoliertem Kunstmarmor, und die Durchsagen werden auf Chinesisch und auf Englisch gemacht. Letzteres wohl nur meinetwegen, denn seit Shanghai habe ich keinen einzigen Ausländer mehr gesehen.
Allerdings muss ich in der vollklimatisierten Science-Fiction-Halle zwei Stunden auf meinen Anschluss warten. Neben mir sitzt eine junge Frau. Sie hat unglaublich schlechte Micky-Maus-Tattoos an den Armen und Beinen. Mir gegenüber lesen zwei Schulmädchen Schundhefte, die Cover sagen mir, dass es darin um Liebe, Parfüm und Mode geht. Eine alte Bettlerin mit wackelndem Kopf trippelt durch die Reihen. Die Mädchen erschrecken, als die Alte plötzlich vor ihnen steht. Ich warte auf den Bus nach Nanling, der letzten Stadt vor dem heiligen Jiu-Hua-Berg. «Nanling, Anhui-Provinz», hatte die Frau am Schalter gesagt, um sicherzugehen, dass ich nicht nach Nanjing will, der Provinzhauptstadt von Jiangsu. Alles klingt auf Chinesisch so ähnlich, und ich muss wirklich teuflisch aufpassen, dass ich nicht am falschen Ort lande. Warum können die ihre Städte nicht einfach Kopenhagen nennen, Budapest oder Bottrop, so wie im Rest der Welt? Ein Restrisiko, falsch zu fahren, bleibt also. Das liegt allerdings nicht nur an der chinesischen Namensgebung, sondern auch an meiner Leseschwäche. Der Bus, in den ich steige, passt so gar nicht in den glänzenden Busbahnhof, doch mir gefällt er umso besser: Man darf rauchen und die Kippen auf den Boden schmeißen, neben die Wurstpellen, die dort vor sich hin gammeln. Und weil es ein wirklich chinesischer Bus ist, läuft eine DVD mit einer Fernsehshow. Die Chinesen lieben es, auf Reisen beschallt zu werden und beflimmert. Die Landschaft draußen interessiert sie nicht, solange man sie umsonst betrachten kann, denn das bedeutet ja: Sie ist nichts wert. Darum starrt auch alles auf den Fernseher, als der Bus losfährt. Ein Mann spielt «Guten Abend, gute Nacht» auf einer Mundharmonika, und anschließend tanzt ein Paar lateinamerikanisch zur chinesischen Coverversion von «Eviva España».
Wir fahren auf der Autobahn, weiter Richtung Westen. Die Landschaft hat sich seit Shanghai nicht verändert; sie sieht immer noch so flach und öde aus wie in Holland oder Niedersachsen. Nur die hineingestellte Architektur ist noch ein bisschen langweiliger: eine flache, moderne Fabrikhalle neben der anderen, dazwischen Villen mit davorgepappten Säulen und springenden Gipspferden auf dem Rasen. Aber man kann ja
Weitere Kostenlose Bücher