Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Kilometer lange Autobahn, die vor ein paar Jahren extra für die Bauarbeiten errichtet wurde. Immerhin arbeiteten hier jahrelang rund um die Uhr siebenundzwanzigtausend Arbeiter, die versorgt werden mussten. Der Bus fährt in einen langen Tunnel, und als er wieder rauskommt, hat sich die Landschaft vollkommen verändert. Wir sind jetzt in den Bergen, und der Jangtse liegt unter uns in einer tiefen Schlucht. Es muss die Xiling-Schlucht sein, die erste von den großen dreien. Hier fließt der Fluss noch weitgehend ungestaut. Ich kann gerade noch einen Blick auf zwei halbfertige Frachter aus rostigem Stahl werfen, die unten auf einem Trockendock liegen, dann geht es in den nächsten Tunnel. Dann in noch einen, dann kommt das abgezäunte Dammgelände, und dann bin ich zu weit. Der Bus hält einfach nicht am Damm, obwohl ich ausdrücklich ein Ticket dorthin verlangt hatte. Ich hätte es gleich checken sollen. Zwar hätte ich den Fahrschein nicht lesen können, aber sehen, dass statt vier Zeichen für San Xia Da Ba nur zwei darauf stehen, hätte ich schon können. Wahrscheinlich bin ich in Zigui gelandet, einer Stadt, von der ich nur weiß, dass es sie eigentlich nicht mehr gibt. Das alte Ziqui liegt mittlerweile auf dem Grund des Jangtse-Stausees. Hoch über der Wasserlinie hat man es neu aufgebaut, mit Boulevards, so breit wie die Champs-Élysées, Banken, die aussehen wie das Capitol, einem Viersternehotel, das Euro heißt, und einem etwas zu klein geratenen Busbahnhof. Hier kommt der Bus zum Stehen. Auch nicht schlecht, denke ich. Pirsche ich mich an den Damm eben von hinten ran.
Vorher muss ich aber erst mal was essen. Deshalb wimmele ich auch die nervige Schlepperin ab, die mir eine Fahrt im Brotauto zur Staumauer aufschwatzen will. Außerdem zeigt sie mir Polaroids von anderen Ausländern, die mit bescheuertem Grinsen vor dem Damm posieren. «Du kannst auch so ein Foto haben.» – «Nein!», sage ich laut. «Auf keinen Fall so ein Foto.» Zum Glück finde ich gleich ein kleines Restaurant und bin damit der Schlepperklette entkommen. Ich esse Schweinefleischstreifen mit Paprika und geschredderten Möhren. Nach ein paar Minuten setzt sich ein Mann mit Helm an meinen Tisch. Ein Mopedtaxifahrer, der mir die Fahrt zur Staumauer für fünf Kuai anbietet. Weil er ein gutmütiges Gesicht hat und freundlich und leise spricht, bin ich einverstanden. Fünf Minuten später schwinge ich mich auf den Rücksitz seiner Wuyang Honda. «Tu es nicht!», schreit die Schlepperin, die wieder um den Busbahnhof schleicht. «Der fällt um.»
Ich hätte auf sie hören sollen. Das Gleichgewicht verliert der Fahrer zwar nicht, doch er scheint nicht zu wissen, wo die Staumauer steht. Stattdessen bringt er mich an das Ufer des neuen Stausees. Hier ist nichts als Wasser zu sehen, dazu ein unbedeutender Seitendamm von hinten. «Nicht schlecht, das Wasser», sage ich, «aber ich würde lieber den großen Damm sehen.» Irgendwie scheint das aber nicht mehr so einfach zu sein wie noch gerade eben. Der Fahrer jedenfalls legt seine Stirn in Falten und hebt zu einer längeren Rede an. Ich verstehe nur so viel, dass der kürzeste Weg zur Mauer über den Seitendamm geht. Er sei aber nur mit einigem Glück zu passieren, denn ich trage bedauerlicherweise keinen Helm. Das habe ich zwar in China noch nie gehört, weil hier mindestens die Hälfte der Leute ohne irgendeine Kopfbedeckung auf einem Zweirad hockt, doch der Fahrer beharrt darauf: «Ob wir durchkommen, hängt von der Stimmung des Wachpostens ab.»
Leider hat der Wachposten heute keine gute Stimmung. Das Merkwürdige ist nur, dass der angeblich schlecht gelaunte Soldat beim holprig wirkenden Wortwechsel mit meinem Fahrer grinst, als habe er Ecstasy gefressen. Wir müssen also einen langen Umweg durch das Tal machen. Der Fahrer düst ein paar Serpentinen hinunter, passiert ein kleines Dorf und einen gespenstisch leeren Markt. Als wir gerade durch eine Kurve fliegen, bekommt er einen Anruf. Ich kann vom Rücksitz aus bewundern, wie er mit der linken Hand das Handy aus der Brusttasche zieht und mit der rechten elegant den Kurs hält. Weniger formvollendet ist, dass er alle fünf Minuten über die rechte Schulter nach unten rotzt. Ich bin durchaus kein Gegner des chinesischen Rotzens, mag aber Schleim auf meinem Hosenbein nicht besonders. Ich versuche ihn abzuwischen, da hopst das Moped über einen kleinen Hügel. Dahinter liegt der Damm, etwas unterhalb von uns, in vielleicht zwei Kilometer
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