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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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Trotzdem wird am Ende alles gut. Na, fast.
    Einer der Gründe, weshalb ich gerade die 318 entlangfahren wollte und nicht irgendeine andere Straße, waren die ganzen chinesischen Superlative, die an dieser Route liegen. Einige habe ich mir schon angesehen, doch waren die leider noch nicht richtig superlativ. Das World Financial Center in Shanghai beispielsweise wird zwar demnächst das höchste Gebäude Chinas sein, aber nur das zweithöchste der Welt. Außerdem ist es noch nicht fertig. Was den Jiu Hua Shan betrifft, habe ich auch nach langer Recherche nicht herausbekommen, ob er nur der viert-, dritt-, zweit-oder vielleicht doch der allerheiligste buddhistische Berg Chinas ist. Den Rekord «Nummer-eins-Berg im Südosten Chinas» finde ich ein bisschen popelig. Gut, der große Kanal von Peking nach Hangzhou ist als längster antiker Kanal tatsächlich Weltspitze. Ich muss ihn irgendwo zwischen Xitang und Tongling überquert haben. Aber ausgerechnet der war mir entgangen, wohl weil ich fernsehen musste und in der Gegend ohnehin so viel Wasser war.
    Doch wegen eines verpassten Rekords muss ich mich nicht wirklich grämen. Die superlativsten Superlative liegen noch vor mir, unter anderem die größte Stadt und der höchste Berg der Welt. Der Dreischluchtendamm, der den gewaltigen Jangtse staut, ist auch nicht zu verachten. Er ist zugleich der größte Staudamm und das größte Wasserkraftwerk des Planeten und liegt rund dreißig Kilometer nordwestlich der Stadt Yichang, meines nächsten Ziels. Ich will diesen Damm ganz genau unter die Lupe nehmen, denn er ist noch dazu der wohl am meisten kritisierte Staudamm der Welt. Die Kritik kommt durchaus auch von Chinesen, aber hauptsächlich aus dem Westen. Es ist nicht zu leugnen: Der Stausee verändert eine einzigartige Landschaft, bedroht die Tier-und Pflanzenwelt, flutet alte historische Städte und vernichtet um die tausenddreihundert archäologische Stätten. Doch erstens gibt es in China sowieso massenweise Archäologisches, genug Landschaft und immer noch ausreichend Tiere und Pflanzen, und zweitens bin ich immer etwas skeptisch, wenn Westler mein China bashen. Das darf eigentlich nur ich. Als angehender Chinese bin ich schließlich unparteiisch. Das sind die meisten anderen Westler nicht.

    Betrachtet man die letzten hundertfünfzig Jahre, dann gibt es praktisch keinen Zeitabschnitt, in dem der Westen an den Chinesen nichts auszusetzen hatte. Als sich das Kaiserreich vom Rest der Welt abgekapselt hatte, gefiel das dem Westen nicht, und so wurde es in der Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst von den Briten, dann auch von anderen Mächten mit Gewalt zur Öffnung und halbkolonialen Unterwerfung gezwungen. Die Chinesen entledigten sich 1912 der Dynastie, die sie in die Isolation gedrängt hatte. Das war dem Westen auch nicht recht. Als sich China dann nach einer Phase großer Wirren rund vierzig Jahre später zur Volksrepublik erklärte, hatte der Westen schon wieder etwas dagegen einzuwenden. Jetzt war ihm das Land zu kommunistisch. Heute dagegen wird angeprangert, China sei zu kapitalistisch und treibe Raubbau an der Natur.
    Letztlich können die Chinesen tun, was sie wollen, vom Westen bekommen sie immer eins auf den Deckel, selbst wenn sie nur einen Staudamm bauen. Man könnte ja zur Abwechslung mal die Schweizer kritisieren. Die haben aus fast allen Flüssen ihres Landes Stauseen gemacht und decken heute sechzig Prozent ihres Elektroenergiebedarfs aus Wasserkraftwerken. Von diesem Anteil sind die Chinesen trotz des Megastaudamms weit entfernt. Solange das so ist, lasse ich nur ein einziges Argument gegen den Damm gelten: dass er unsicher ist und brechen könnte, zum Beispiel bei einem Erdbeben, denn das würde mehrere Millionen Menschenleben kosten. Die chinesischen Behörden versichern zwar, der Damm halte auch dem größten in der Region denkbaren Erdbeben stand. Doch in diesem Fall will ich lieber meinen eigenen Augen trauen.

    Die Stadt Yichang macht auf mich schon mal einen guten Eindruck. Sie ist modern, sauber, hell und aufgeräumt, ganz anders als die leicht angegammelte Mumienstadt Jingzhou. Das muss am Staudamm liegen, von dessen billigem Strom man profitiert. Weil die Stadt offenbar im Geld schwimmt, ist sie mit sämtlichen Accessoires ausgestattet, die eine moderne chinesische Großstadt unbedingt haben muss, um als hochkarätig zu gelten. Das obligatorische Riesenrad dreht sich in Yichang auf dem Berg hinter dem Bahnhof. Es muss auch immer ein

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