Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
ausrangierter Düsenjäger im Stadtpark stehen und auf dem großen zentralen Platz ein Brunnen mit Wasserorgel. Beides da in Yichang! Dann braucht man ein Viertel, das gerade abgerissen wird, und ein Hochhaus im Rohbau, der verrottet, weil der Bauherr Konkurs gemacht hat. Auch damit kann Yichang dienen, genauso wie mit ein paar üblicherweise stillgelegten Frei-oder Spaßbädern. Ab einer bestimmten Stadtgröße gibt es mindestens einen McDonald’s, Yichang hat sogar zwei, und einen KFC. Nur die Bronzefiguren, die als falsche Passanten jede chinesische Einkaufsstraße möblieren müssen – offenbar auf Befehl von ganz oben –, kann ich nicht entdecken. Aber sie werden schon irgendwo sein, die Stadt hat’s ja und ist sonst ganz vorbildlich.
Die katholische Kirche dagegen fällt etwas aus dem Rahmen. An ihrem Infobrett hängt ein aus der Zeitung ausgeschnittenes Foto eines Mannes, den ich kenne: der deutsche Papst. Das ist insofern bemerkenswert, als der Papst in China nicht das nominelle Oberhaupt der Katholiken ist, weil sich die chinesische Regierung und der Vatikan seit Jahren über ein paar Fragen nicht einigen können. Das Bild aber stört keinen.
Das Jangtse-Ufer, an dem ich am Abend stehe, sieht in Yichang anders aus als in den anderen Städten. Jenseits des gegenüberliegenden Flussufers breitet sich keine weite Ebene mehr aus, sondern es erheben sich bewaldete, vielleicht hundert Meter hohe Hügel. Die Stadt selbst liegt auch am Hang; hinunter zu den Frachtern und Passagierschiffen, die im Fluss vor Anker liegen, führt eine breite Treppe. An ihrem Fuß stehen Angler in Gummihosen halb im Wasser, und Frauen tragen Körbe mit Bohnen und Tomaten auf ein Schiff.
Ich schlendere die Uferpromenade entlang und beobachte dabei Adler, die über dem Jangtse schweben. Ab und zu stößt einer herab und greift sich einen kleinen Fisch. Ein Stück weiter flussabwärts, an einer neuen, großen, weißen Hängebrücke beginnt der frisch angelegte World Peace Park, der, wie ein Schild erklärt, «die Entschlossenheit des chinesischen Volkes zum Frieden und zur Erhaltung des Weltfriedens» demonstrieren soll. Die Parklampen haben die Form von fliegenden weißen Tauben, und auf dem Rasen ist gleich noch ein Schwarm weißer Tontauben gelandet. Zur Erhaltung des Weltfriedens wurde auch ein neues Toilettenhäuschen errichtet, offenbar mit UNO-Geldern, denn am Eingang steht «UNEP» geschrieben – die Abkürzung für «United Nations Environment Programme» – und darüber «Let’s clean up the world».
Genau, lasst uns das machen, denke ich, und mit den chinesischen Toiletten anzufangen – ein eigenes Kapitel, ach was, ein eigenes Buch – ist ein guter erster Schritt. Dann hocke ich mich auf die Ufermauer. Neben mir sitzt ein junges Mädchen, das Einlegesohlen mit Blumenmustern bestickt. Hinter mir im Weltfriedenspark fahren Kinder Rollerblades. Ältere Ehepaare spielen Federball und zwei Großväter mit ihren Enkeln Fangen. Ein Mann mit faltigem Gesicht singt chinesische Schlager, ein zweiter Mann begleitet ihn auf einem mobilen Elektroklavier. So verbringen viele Leute in China den Abend. Die meisten aber sitzen nur so da – wie ich. Man raucht zusammen und rotzt dabei lautstark auf den Boden, zum Schrecken jedes empfindsamen Westlers. Man trinkt Tee aus mitgebrachten Gläsern, guckt die vorübergehenden Pärchen an oder nur so auf den Fluss. Hier gleitet gerade ein dicker Frachter vorbei und lässt beim Unterfahren der Brücke sein Schiffshorn dröhnen. Es klingt wie das Trompeten eines riesigen Elefanten, und ich denke: Ja, das alles zum Beispiel ist auch ein Grund, Chinese werden zu wollen.
Der Bus, der mich am nächsten Morgen zum San Xia Da Ba, dem Großen Dreischluchtendamm, fährt, ist leider nicht so gut in Schuss wie die Stadt Yichang. Er hat keine Klimaanlage, und die Sitze sind ein bisschen schmierig. Da können auch die braunen Schonbezüge nichts ausrichten, auf die Herzen aufgedruckt sind mit der Aufschrift «Love you». Man hat sie seitenverkehrt aufgezogen. Ich freue mich, dass aus dem Bordlautsprecher die chinesische Version des moldawischen Schlagers «Dragostea Din Tei» kommt, des europäischen Sommerhits von vor ein paar Jahren. Auf Chinesisch lautet der Refrain nämlich: «Ich habe keine Angst, wenn ich eine Kakerlake sehe.» Der Song wird allmählich zum Soundtrack dieser Reise, wo auch immer ich hinkomme, knallt er mir aus einem Lautsprecher entgegen.
Zum Damm geht es über eine dreißig
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