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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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Unsinn ist, danach ist mir erst mal wohler. Ich warte noch ein Weilchen, um zu sehen, ob irgendwas passiert. Aber weil der Höllengott und alle seine Bediensteten in diesem Palast nur aus Gips und Holz sind, passiert natürlich gar nichts. Irgendwann begreife das auch ich und wende mich zum Gehen. Ich bin schon auf der Schwelle des Palastes, als ich plötzlich etwas höre. Eine Stimme scheint aus der Tiefe des Raumes zu kommen. Erst verstehe ich nicht ganz, was sie sagt. Dann wird sie allmählich immer deutlicher, bis plötzlich alles klar ist. Die Stimme sagt: «Hello. Hello. Hahaha.»
    Den ganzen restlichen Nachmittag verbringe ich damit, mir darüber klar zu werden, was diese Hellozination nun wirklich war. Die einfachste Erklärung wäre, dass da irgendwo in einer dunklen Ecke des Palastes ein Hello-Blöker stand, den ich nicht gesehen habe. Es kann aber auch sein, dass ich mir die Hellos eingebildet habe. Meine Isolation, der viele Regen, dann die plötzliche Hitze, Lehrer Charles, praktisch kein Schlaf in der letzten Nacht, ein Wunder wäre es nicht, wenn das Folgen gehabt hätte. Auf jeden Fall müsste ich dringend etwas unternehmen. Ich weiß nur nicht, was.

    Es bleibt in Fengdu höllisch. Noch am Abend laufe ich in vollem Tempo gegen ein über den Bürgersteig gespanntes Stahlseil, das einen Telefonleitungsmast hält. Es tut so weh, als schlügen mir die Höllenknechte die Sehnen bei lebendigem Leib heraus. Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, um die Passanten nicht zu noch mehr Gelächter zu reizen. Das gelingt so gerade eben. Die Nacht in meinem neuen Hotel aber wird zur wirklichen Tortur. Frauen und Männer in offenbar unterschiedlichen Paarkonstellationen diskutieren stundenlang lautstark auf dem Flur des «besseren» Hotels ihre langfristigen, eventuell auch sehr kurzfristigen Beziehungen. Immer wieder knallen Türen. Dann bittet eine Frau eine Dreiviertelstunde lang flehentlich um Einlass, der ihr schließlich so lange gewährt wird, bis es auf dem Zimmer wieder zu harten Wortgefechten kommt.
    Im Inneren meines Zimmers greifen derweil ein Kakerlak und eine Grille an. Der Kakerlak ist einer von diesen Kakerlakidioten, er macht sich lautstark an einer Tüte mit Keksen so lange zu schaffen, bis ich ihm den Garaus mache. Die Grille aber hat sich hinter einer Scheuerleiste verschanzt, wo sie in Zahnarztbohrerfrequenz laut vor sich hin zirpt. Ihr ist nicht so schnell beizukommen. Erst schlage ich mit einer Sandale auf die Scheuerleiste, um das Vieh dahinter zu zerquetschen, dann versuche ich, es durch einen Spalt mit meinem Taschenmesser zu erstechen. Beide Male verstummt die Grille, ist aber sofort wieder da, sobald ich das Licht lösche. Schließlich sprühe ich eine fette Dosis Polo-Deo hinter die Leiste. Das setzt die Grille wenigstens für eine halbe Stunde außer Gefecht. In einem Stoßgebet danke ich dafür dem Schöpfer dieses Deos, Ralph Lauren.

Steh-Disco 3000
Jeder Langzeitreisende kommt früher oder später in die Krise. Unseren Helden erwischt es auf dem Weg in die größte Stadt der Welt. Ein amerikanischer Weltkriegsgeneral, ein potenzsteigerndes Gericht und drei chinesische Freunde bringen ihn wieder auf die Beine.
    In dieser Nacht schlafe ich keine Sekunde. Als ich mich am frühen Morgen völlig zerschlagen aufrappele, räche ich mich als Erstes am Hotel. Ich programmiere die Menüsteuerung des Fernsehens von Chinesisch auf Englisch um. An dieser Nuss wird der Hotelfernsehwart einige Zeit zu knacken haben.
    Dann mache ich mich zum Busbahnhof auf. Dabei habe ich nur einen Gedanken: so schnell wie möglich raus aus der Hölle. Aber wohin? Eigentlich hatte ich geplant, von Fengdu aus nach Chongqing City zu fahren, das höchstens noch hundertvierzig Kilometer entfernt ist, und danach wieder zurück auf die 318. Doch diese Megastadt, da bin ich sicher, wäre in meinem Zustand zu viel für mich. Ich muss an einen ruhigeren Ort, um mich auszuruhen und nachzudenken.
    Am Schalter entscheide ich mich für Fuling, nur vierzig oder fünfzig Kilometer südlich, genau genommen auch nur ein Stadtteil von Chongqing. Ich kenne diese Stadt aus dem schönen Buch «Rivertown» des amerikanischen Autors Peter Hessler, und ich weiß: Hier ist es ruhig und beschaulich, und zu sehen gibt es praktisch nichts. Aber als ich in die Stadt reinfahre, erkenne ich das Buch-Fuling nicht wieder. Eine Stadtautobahn verläuft auf Stelzen am Jangtse-Ufer, mitten in der Altstadt steht neben einem ultramodernen Stadion

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