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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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außerhalb Chongqings befand, heute aber mitten in der Stadt liegt. Das Dorf ist ein Wahrzeichen des kommunistischen Widerstandes gegen die Japaner. Während des Krieges hatte hier die Chongqinger Abteilung der kommunistischen Achten Route-Armee ihr Büro sowie das von Zhou Enlai geleitete Südbüro der Kommunistischen Partei. Die Gebäude liegen sehr idyllisch zwischen Trauerweiden, Palmen und Bananenstauden, doch was hier genau passierte, erfahre ich leider nicht. Im Klippen-Dorf und im benachbarten Museum gibt es nur wenige Schrifttafeln auf Englisch, sodass mir lediglich das Häuser-und Bildergucken bleibt.
    Immerhin komme ich überraschenderweise doch noch zu so etwas wie einer Mao-Villa. Mao hat von Ende August bis Mitte Oktober 1945 im Klippen-Dorf gewohnt, um mit Nationalistenführer Chiang Kai-shek einen Waffenstillstand zwischen den Kommunisten und Chiangs Kuomintang-Partei auszuhandeln. Am 10. Oktober wurde dieses Abkommen geschlossen, hielt allerdings nicht lange. Natürlich wohnte Mao für die paar Wochen nicht in einer Villa, sondern nur in einem Zimmer im Gebäude des Südbüros. Kirschrote Slipper oder Blutdruckmessgeräte gibt es nicht zu sehen, dafür ein spartanisches Bett, einen Schreibtisch und einfache, aber elegante Rattansessel. Überhaupt fällt mir bei der Inneneinrichtung der Wohn-und Arbeitsgebäude in Hong Yan Cun das gute, schlichte Design auf, das im krassen Gegensatz zur zeitgenössischen chinesischen Bau-und Innenarchitekturästhetik steht, die sich mehr an Kitsch und Las-Vegas-Bombast orientiert. Aber schlechter Geschmack und Neureichtum gehören wohl überall auf der Welt untrennbar zusammen.
    Meinen kleinen Tauchgang in die jüngere chinesische Geschichte beende ich in der ehemaligen Villa des amerikanischen Weltkriegsgenerals Joseph Stillwell, die hoch über dem Jialing-Fluss an einem Abhang klebt. Stillwell war zur Zeit des Zweiten Weltkriegs als Stabschef an der Seite Chiang Kai-sheks der wichtigste Verbindungsmann zwischen der chinesischen und der US-Regierung; außerdem befehligte er die amerikanischen Truppen in Indien, Burma und China. In der Villa hat er während seiner Chongqinger Zeit gearbeitet und gelebt. Hier ist auch endlich einmal alles ausgezeichnet ausgeschildert, wohl deshalb, weil die Chinesen wollen, dass der General im Westen nicht in Vergessenheit gerät. Tatsächlich besucht mit mir zusammen eine Gruppe Amerikaner das Museum, während sich in Hong Yan Cun und in der Panorama-Show kein Ausländer blicken ließ.
    Die Amerikaner bleiben im Hof der Villa vor einem großen Steinbuch stehen, in das Präsident Roosevelts Grußadresse vom 17. Mai 1944 eingemeißelt ist. Er gratuliert darin der Bevölkerung Chongqings dazu, dem Bombenterror der Japaner standgehalten zu haben. Im Inneren der Villa hängt in der Ecke des Military Meeting Room eine amerikanische Flagge, und von den Wänden blicken George Washington und F. D. Roosevelt. Im Arbeitszimmer stehen Telefone und eine Remington-Schreibmaschine, und über dem Bett im Schlafzimmer hängt ein Foto von Stillwells Highschool-Baseballmannschaft, auf dem «Champions of 98» steht. Alles sieht so aus, als sei der General nur mal eben ausgegangen und käme gleich zurück.
    Tatsächlich musste Joseph Stillwell China über Nacht verlassen. Ihm war in seiner Position als Stabschef nicht entgangen, dass die Regierung Chiang Kai-sheks in hohem Maße korrupt war. Stillwell glaubte, dies sei der Hauptgrund dafür, dass ihre Truppen im Kampf gegen die Japaner keine nennenswerten Erfolge erzielten. Deshalb plädierte er gegenüber Washington dafür, die Kommunisten unter Mao mindestens ebenso mit Waffen zu versorgen wie die Truppen Chiangs. Für diesen Fall hatte Mao sogar zugesichert, dass sich die Rote Armee einem amerikanischen Oberkommando unterstellen würde. Doch Chiang Kai-shek drehte fast durch, als er von Stillwells Vorschlag hörte. Er drohte Präsident Roosevelt, Frieden mit Japan zu schließen, sollte der General nicht umgehend abberufen werden. Chiang setzte sich durch. Im Oktober 1944 bekam Joseph Stillwell den Befehl, China innerhalb von nur achtundvierzig Stunden zu verlassen. Das, so sagen die chinesischen Kommunisten, war der Wendepunkt in der Beziehung zwischen ihnen und den Amerikanern. Nur sechs Jahre später standen sich amerikanische und chinesische Truppen im Koreakrieg direkt gegenüber. Nach Kriegsende waren mehr als eine Million Menschen tot.
    Der Besuch in Stillwells Villa stimmt mich nachdenklich. Was

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