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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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Flüssen sehen, an denen laufend kleine Fähren und Ausflugsboote an-und ablegen, und auf den Chao-Tian-Men-Platz, der wie der Bug eines großen Dampfers in die beiden Flüsse hineinragt. Von hier aus sind es fast sechshundert Kilometer flussabwärts bis zum großen Damm bei Yichang, an dem ich, wie es mir vorkommt, vor einer Ewigkeit war, der aber selbst hier noch das Jangtse-Wasser staut.
    Über dem lehmbraunen Fluss wird gerade eine gigantische Stahlbrücke errichtet, und auf dem Chao-Tian-Men-Platz baut man eine große Bühne auf. Hier soll am Abend das zehnjährige Jubiläum der Rückkehr Hongkongs zum Mutterland begangen werden. In Chongqing hat man aber noch einen anderen Grund zu feiern. Am 1. Juli 1997, dem Tag der Rückkehr Hongkongs, wurde Chongqing per Dekret zur größten Stadt der Welt gemacht, indem man das riesige Stadtgebiet kurzerhand aus der Provinz Sichuan heraustrennte. Warum, ist allerdings nicht ganz klar. Wahrscheinlich wollten die von Superlativen besessenen Chinesen einfach die größte Stadt der Welt haben.
    Das ist Chongqing natürlich nur auf dem Papier, denn die eigentliche Stadt ist mit fünf Millionen Einwohnern sogar kleiner als Wuhan. Trotzdem gilt Chongqing als so etwas wie Chinas Zukunftscity, mit immer größeren Bauprojekten versucht man hier sogar Peking zu übertreffen. Die Innenstadt wurde mit himmelhohen Bürohochhäusern, diversen Times Squares und gläsernen Shoppingmalls zu einer Kreuzung aus Manhattan, Chicago und Gotham City umgebaut, durch die eine neue U-Bahn nicht auf zwei Schienen fährt, sondern auf nur einer. Die Stadt ist so hypermodern, dass sogar die Friseure dazu übergegangen sind, ihren Läden Wortspielnamen zu geben. Ein Salon in der Innenstadt heißt Bei + Jing. Kein Wortspielquantensprung, gewiss, aber darauf muss auch erst einmal einer kommen.
    Mir gefällt es in dieser Hello-freien Zone, auch weil ich mich hier nach der Anstrengung in Chongqings gesammelten Vororten endlich wieder einmal ganz unchinesisch verhalten kann. In meinem Lieblingsfoodcourt Food Republic – einer Singapurer Kette – esse ich mal koreanisches Bibimbap, mal Roti Prata, das von indischen Gastarbeitern gebacken wird, die besser Chinesisch können als Englisch. In der Filiale des französischen Supermarktgiganten «Carrefour» kaufe ich fürs Frühstück Baguette und Schmelzkäse ein, auf dem «Brotzeit» steht und der tatsächlich aus Bayern stammt. Pizza esse ich in einer Pizzeria, die Amalfi heißt, und auch wenn sie schlechter als eine durchschnittliche Ristorante ist, bin ich schon deshalb zufrieden, weil sie nicht chinesisch schmeckt. Nur im Kino läuft leider nicht wie erhofft «Garfield 2» – verdammt, ich weiß immer noch nicht, wie er ausgeht –, sodass ich mit einem Hongkong-Thriller ohne Untertitel vorliebnehmen muss.

    Nach zwei Tagen habe ich mich genug erholt, und ich kann mich an die Erforschung von Chongqings Stadtgeschichte machen. Die ist schon deswegen interessant, weil Chongqing im Zweiten Weltkrieg die provisorische Hauptstadt Chinas war. Die damalige Hauptstadt Nanjing – die ungefähr auf dem demselben Längengrad liegt wie Jiu Hua Shan – fiel 1937 in die Hände der Japaner, weshalb Regierungschef und Nationalistenführer Chiang Kai-shek die Hauptstadt zunächst nach Wuhan verlegte. Als dann auch Wuhan fiel, zog man sich noch weiter nach Westen zurück. Wie viel weiter, kann ich erst jetzt richtig ermessen, denn der Rückzugsweg der chinesischen Regierung deckt sich ungefähr mit meiner bisherigen Reiseroute.
    Bis heute ist die Stadt für alle Chinesen ein Symbol ihres Widerstandswillens, denn Chongqing wurde den ganzen Krieg hindurch gehalten, wenn auch unter großen Opfern. Die Stadt wurde praktisch täglich von den Japanern angegriffen, was sie zur am meisten bombardierten Stadt in China macht. Die Bombardements finden sogar heute noch statt, in der «Jahre des antijapanischen Krieges»-Halle des Dreischluchtenmuseums. Hier steht in einem dunklen Kinosaal ein großes Kriegspanorama, welches das zerstörte Chongqing zeigt. Mehrmals täglich wird vor diesem Hintergrund die Stadt noch einmal in Schutt und Asche gelegt, dieses Mal aber nur multimedial. Ich sehe die Japaner Angriffswelle auf Angriffswelle fliegen. Vom Band kommen Motorendröhnen, Explosionsgeräusche, Schreie und die Stimme des Sprechers, der leider alles nur auf Chinesisch erklärt.
    Das ist auch das Problem in Hong Yan Cun, dem «Rote Klippen»-Dorf, das sich zu Kriegszeiten etwas

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