Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
nicht um das Leben eines Menschen, wenn er kein Geld hat.«
Wovon sprechen Sie?
»Im Krankenhaus müssen Sie Angehörige haben, die über die Kranken wachen, oder man läßt sie sterben.«
Was halten Sie von den führenden Politikern der Türkei? werfe ich in die Runde.
»Erdogan ist der schlimmste Mensch nach Hitler«, antwortet eine von ihnen. »Es gibt Aufnahmen davon, was er in der Vergangenheit gesagt hat, und heute sagt er das genaue Gegenteil. Er ist jemand, der die Menschen aufzuheizen versucht und Haß zwischen den verschiedenen Lagern sät.«
Oh, interessant.
Aber ich möchte diese junge Frau nicht in Schwierigkeiten bringen und frage nicht weiter nach. Ich wende mich statt dessen wieder Nurcan zu und frage sie, ob es einen Unterschied gibt zwischen ihr, einer Deutschtürkin, und den deutschdeutschen Frauen ihres Alters.
»Eine Deutschtürkin meines Alters weiß ihr Leben hier mehr zu schätzen und hat einen weiteren Horizont als die deutschdeutsche Frau. Ich kenne die Türkei und habe die Armut dort gesehen. Eine Deutschtürkin hat mehr Perspektiven, weil sie auch eine zweite Kultur hat.«
Glauben Sie, daß die Deutschdeutschen auf Sie herabschauen?
»Ja.«
Schauen Sie auf sie herab?
»Nein. Früher einmal habe ich zu ihnen aufgeschaut, aber das ist vorbei. Jetzt arbeite ich mit ihnen zusammen und kenne sie besser …«
Und was halten Sie von Marxloh?
»Es heißt, daß sich nicht einmal die Polizei hierher traut, aber ich mag Marxloh.«
Adolf Sauerland hat recht. Die Türken sind ein Segen für diese Stadt.
Nurcan hat mich so beeindruckt, daß ich am nächsten Tag drei Generationen türkischer Familien besuche, die alle in einem Haus wohnen.
Hamiyet, eine junge Mutter, eröffnet den Reigen. Sie gehört zur mittleren Generation, ist eine ausgebildete Krankenschwester und stolz auf das, was sie ist: eine türkische Muslimin. Vom ersten Moment an geht sie, warum auch immer, zum Angriff über. Das ist insofern eigenartig, als ich zum Mittagessen eingeladen bin und die Devise dafür normalerweise Gastfreundschaft lautet.
»Warum habt ihr Juden den Sabbat abgelehnt, als Allah ihn euch angeboten hat? Sagen Sie es mir!«
Was führt diese Frau im Schilde? In welche Löwenhöhle bin ich hier geraten?
»Ich möchte einfach nur wissen, warum ihr Juden das getan habt! Warum? Warum?«
Ja, mir ist diese Denkweise vertraut. Die Muslime glauben schließlich, daß Allah Sein Buch zuerst den Juden gab, diese es aber verfälschten. Aber warum diese Frage jetzt? Wie war das noch mal mit der Gastfreundschaft? Ach was, Gastfreundschaft, wie war das noch mal mit zivilisierten Umgangsformen?
Was soll dieser Angriff?
Ich versuche, die Wogen zu glätten, und antworte ihr. Ich sage zunächst, daß die drei abrahamitischen Religionen ihren Glauben auf drei ähnliche Geschichten gründen, zwischen denen aber auch Unterschiede bestehen.
Hamiyet unterbricht mich.
»Nein, das ist alles ein und dasselbe.«
Nehmen wir zum Beispiel die Opferung von Abrahams Sohn. Es gibt große Unterschiede in der Art und Weise, wie der Koran und wie die Bibel das beschreiben.
»Nein, das ist dasselbe.«
Nun, dann schauen wir uns den Namen jenes Sohns an. In der Bibel heißt er Isaak, im Koran Ismail.«
»Isaak und Ismail sind identisch!«
Nein, sind sie nicht.
»Wie wollen Sie das wissen, sind Sie ein Spezialist dafür? Sie kennen noch nicht einmal den Koran und schwingen nur Reden!«
Ich muß Sie leider enttäuschen: Ich bin ein Koranprofessor.
Keine Ahnung, wie mir dieser Titel in den Sinn gekommen ist, aber warum nicht? In Coburg habe ich eine Sportprofessorin kennengelernt, und wenn jene Frau Sportprofessorin sein konnte, dann kann ich gut und gerne Koranprofessor sein.
Fragen Sie mich bitte nicht warum, aber Hamiyet glaubt tatsächlich, daß ich ein Koranprofessor bin. Sie sagt: »Als ein Mann, der sich auskennt – Sie sind ein Professor –, wie können Sie da die Wahrheit nicht sehen?! Die Wahrheit des Korans?! Es gibt Unterschiede zwischen den Religionen, das ist wahr, aber Allah schuf eine endgültige Version, den Koran. Schluß, aus, Ende!«
Sie glauben das, und das ist in Ordnung, aber nicht jeder tut es. Können Sie das akzeptieren?
»Allahs Botschaft endet mit dem Propheten Mohammed, Sallallahu ’Alaihi wa Sallam. Warum können Sie das nicht akzeptieren?«
Erlauben Sie mir eine Frage: Woher wissen Sie, daß das richtig ist, was Sie sagen?
»So steht es geschrieben!«
Hamiyet würde das nicht gerne
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