Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
hören, aber sie spricht buchstäblich wie eine orthodoxe Jüdin. Wie ja auch beide ihr Haar bedecken. Sie sehen sich gleich, reden gleich und verhalten sich gleich. Die Parallelen sind erschreckend. Ich sehe eine Chassidin vor mir statt einer Muslimin. Beziehungsweise eine Muslimin, die in Wirklichkeit chassidisch ist … wie meine eigene Schwester, eine Ultraorthodoxe, die genauso wie Hamiyet redet und fast genauso denkt wie sie. Man tausche nur Moses gegen Mohammed aus und hat ein und dasselbe. »Woher weißt du, daß die Bibel recht hat? – So steht es in der Bibel geschrieben.«
Bingo.
Doch jetzt ist nicht die Zeit, über diese Gemeinsamkeiten nachzudenken.
Auch Hamiyets Schwester Samide versteht nicht, warum dieser Professor noch kein Muslim ist.
Samide ergänzt, daß sie weiß, was in der Bibel steht. Ich könne keine Spielchen mit ihr spielen.
Was steht denn in der Bibel?
»Daß alle Propheten ohne Sünde waren.«
Wer hat das gesagt?
»So steht es in der Bibel.«
Haben Sie die Bibel gelesen?
»Nein.«
Woher wissen Sie es dann?
»Meine Schwester hat die Bibel gelesen und es mir erzählt.«
Es ist ein heißer Tag heute in Marxloh, um die 40 Grad. Und diese Frauen tragen Hijabs.
Warum tragen Sie einen Hijab?
»Um die Männer nicht in Versuchung zu führen.«
Glauben Sie, daß Ihr Haar sie in Versuchung führen würde?
»Im Koran steht, daß Frauen einen Hijab tragen sollen, um nicht vergewaltigt zu werden.«
Das ist ein starkes Argument.
Endlich setzen wir uns an den großen Tisch in der Küche, um mit dem Essen zu beginnen.
Und Hamiyet sagt, daß der Koran sagt, daß die Juden Unruhe stiften wollen und Kriegstreiber sind.
Glauben Sie, daß das zutrifft?
»Ja. Deshalb gibt es den Nahostkonflikt.«
Redet sie von Israelis oder von Juden?
Für sie macht das keinen Unterschied. »Die Juden haben Jesus getötet!« schreit sie mich an.
Aber Jesus war selbst ein Jude, oder nicht?
»Jesus war kein Jude. Keiner der Propheten war ein Jude.«
Es wird Zeit für ein anderes Thema.
Wie denken Sie über die Gaza-Hilfsflotte?
»Wie denken Sie denn darüber?«
Ich war nicht dabei und weiß es nicht.
»Wenn Sie es nicht wissen, wenn Sie dumm sind, dann sollten Sie kein Buch schreiben. Die Leute da waren unschuldig, aber die Juden haben sie getötet. Sie töteten einen Mann, einen 19jährigen, sie erschossen ihn. Dann schossen sie wieder auf ihn. Und noch mal. Und noch mal.«
Ich habe diese Behauptung auf meinen Reisen in der arabischen Welt schon oft gehört. Die Juden schießen und töten, dann schießen sie noch mal auf den Leichnam, und noch mal, und noch mal. Warum? Weil Juden gerne Blut sehen.
Ich akzeptiere ihre Vorwürfe nicht, bewundere aber ihre Ehrlichkeit. Sie kommen direkt zur Sache: den Juden. Sie spielen nicht das Spiel: »Ich bin sehr israelkritisch, aber ich mag die Juden.« Nein, auf diese Idee kämen sie nicht. Sie sagen, was sie denken. Sie haben einen Glauben, sie haben Ideale, an die sie glauben, und sie scheuen sich nicht, laut auszusprechen, was sie denken.
Hamiyet, Sie sagten, im Koran stünde, daß Frauen einen Hijab tragen müssen –
»Das stimmt.«
Haben Sie es im Koran gelesen?
»Ja, habe ich. Soll ich Ihnen die Stelle zeigen?«
Das wäre toll. Bitte.
»Soll ich den Koran holen?«
Wenn es Ihnen keine Umstände bereitet.
»Ja, ich werde ihn holen.«
Ich habe ihn auf meinem iPad, wenn Ihnen das lieber ist.
Das gefällt ihr! Der Koranprofessor trägt den Koran immer bei sich, wo auch immer er ist. Wir durchsuchen den elektronischen Koran, finden dort aber keinen Hijab.
»Ich muß mein Buch holen.«
Hamiyet holt den Koran und legt ihn auf den Tisch.
»Hier!« sagt sie; das Buch ist noch nicht aufgeschlagen.
Danke. Können Sie es mir bitte im Buch zeigen?
»Sie kennen den Koran selbst, oder?«
Ja, natürlich. Aber ich erinnere mich nicht mehr an diesen speziellen Vers.
»Soll ich Ihnen den Vers zeigen?«
Ja.
»Er ist in der Sure An-Nisa.«
Das ist eine lange Sure. Können Sie mir sagen, welcher Vers?
»Ja, kann ich. Wissen Sie, als ich anfing, den Koran auf türkisch zu lesen, verstand ich zunächst überhaupt nichts. Ich kannte ihn auf deutsch. Es war das erste Mal, daß ich ihn auf türkisch las.«
Interessant.
»Dann las ich ihn noch einmal – und verstand ihn immer noch nicht.«
Interessant.
»Aber beim dritten Versuch passierte etwas.«
Sie lasen etwas über den Hijab …
»Hijab?«
Wo ist der Vers über den Hijab?
»Im Buch.«
Wo im
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