Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
was ich über Deutschland und die Deutschen weiß und gelernt habe. Von jetzt an muß ich den Satz »Ich kenne Deutschland« mit einem Fragezeichen versehen. Vielleicht gehört der Satz auch komplett in die Tonne gekloppt.
Die Ostdeutschen haben mehr als ein Päckchen zu tragen. Während die übrigen Deutschen den Ballast ihres Landes schultern müssen, ihrer Familien, der Ermordung von »Fremden« wie Juden, Schwulen, Zigeunern oder Russen, haben die Ostdeutschen noch eine weitere Last zu tragen: daß sie ihreeigenen Brüder und Schwestern ermordet, ihre eigenen Freunde verraten und ihre eigenen Angehörigen ins Gefängnis gebracht haben. Das ist eine Last zu viel.
Wie gehen sie damit um?
Vielleicht ist eine Art und Weise, damit umzugehen, der Satz: Ich werde die Akte nicht lesen.
Erstaunlich.
Ein, zwei Stunden später setzt mich Tom am Bunker in Marxloh ab.
Die türkischen Aktivisten, angenehme Leute, laden mich ein, in einem nahe gelegenen Hotel zu übernachten. Ich nehme die Einladung an. Und habe nun Zeit, die Bunker-Leute und die türkische Gemeinde insgesamt besser kennenzulernen.
Hier im Bunker treffe ich in der obersten Etage auf eine Gruppe junger Leute, die das arme, desolate Viertel dem Verfall entreißen möchten. Der Geist, der diese Gruppe beseelt, verdankt sich Mustafa, Halil und noch einem Dritten, der gerade nicht hier ist. Dieser Dritte ist ein Deutschdeutscher; Mustafa und Halil sind Deutschtürken. Ich setze mich noch einmal mit Mustafa zusammen.
Wie wichtig ist es für dich, Türke zu sein?
»Kein bißchen. Das letzte Mal, als ich mit Halil in der Türkei war, trafen wir einen berühmten türkischen Regisseur. Er sprach über Deutschland. Er versuchte zu erklären, wie Deutschland zu einem so mächtigen Land werden konnte, nachdem es im Krieg fast völlig zerstört worden war. Er sagte, Deutschland sei so schnell wieder aufgestiegen, weil sie das ganze Geld der Juden gestohlen hatten. Und ich sagte, daß das nicht ausreichte, um Deutschland so erfolgreich zu machen, daß es auch noch andere Gründe für den Erfolg gab. Ich wollteihm nicht widersprechen, sondern nur ergänzen, was er gesagt hatte. Als der Regisseur das hörte, konnte ich sehen, wie sich augenblicklich sein Gesicht verzog. Er unterbrach seinen Vortrag und nannte mich einen Dummkopf.«
Was willst du damit sagen?
»In der Türkei muß man einen Menschen mit höherer Bildung respektieren und darf ihm nicht widersprechen. Das ist die türkische Kultur, nicht meine.«
Seine Kultur heißt »Marxloh«. »Ich bin ein ›Deutschtürke‹«, sagt er.
Was heißt das?
»Ich erzähle dir eine kleine Geschichte. Als Kind fand ich einmal 100 D-Mark auf der Straße. Ich hatte einen sehr engen Freund und gab das Geld für Essen, Süßigkeiten, Eis und alles mögliche für uns beide aus. Binnen einer Woche hauten wir zusammen alles auf den Kopf. Das war viel Geld für mich, aber ich teilte es mit meinem besten Freund, einem deutschen Deutschen. In der folgenden Woche brauchte ich 50 Pfennig, um mir etwas kaufen zu können, hatte aber kein Geld dabei. Ich bat ihn, mir 50 Pfennig zu geben. Er gab sie mir. Dann kam er einen Tag später an und fragte: ›Kannst du mir das Geld zurückgeben?‹ Ich war überrascht, weil ich in der Woche davor so viel Geld für ihn ausgegeben hatte. Verstehen Sie? Er war ein deutscher Deutscher. Das sind unterschiedliche Kulturen. Diese Kultur will ich nicht; deshalb halte ich an meiner eigenen Kultur fest.«
Glaubst du nicht, daß ein deutschtürkischer Junge sich genauso verhalten könnte?
»Nein. Niemals. Sieh dir die türkischen Gemeinschaften an. Jeder steckt den Kopf mit jedem zusammen. Du mußt dich mit deinem Nachbarn nicht verabreden. Du klopfst an seine Tür und gehst rein. Verstehst du?«
Verstanden. Aber das ist die türkische Kultur, das ist die nahöstliche Kultur, das ist der Osten. Warum nicht einfach türkisch sein? Warum deutschtürkisch?
»Ich liebe die deutsche Ordnung. Pünktliche Züge, Polizeisicherheit, daß die Dinge richtig funktionieren …«
Wer zieht dich mehr an, deutsche Frauen oder türkische Frauen?
»Deutsche! Die Launen der türkischen Mädchen ertrage ich nicht!«
Warum magst du keine türkischen Mädchen?
»Wenn man mit einem türkischen Mädchen ausgeht, ist das erste, was sie von einem erwartet, daß man sie einlädt. Dann setzt man sich zusammen und unterhält sich. Worüber? Das ganze Gespräch dreht sich um Eifersucht, Heirat, welche Verbote es gibt und
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